Elfenzorn
wieder mal höllisch.«
Das stimmte nicht. Das Verkehrsaufkommen war eher mäßig, und noch vor ein paar Tagen hätte sie einen solchen Vorschlag als glatte Frechheit empfunden. Aber so, wie sie sich gerade benahm, konnte sie wahrscheinlich froh sein, dass er ihr nicht angeboten hatte, sie an der Hand zu nehmen und über die Straße zu führen.
Sie zwang sich zu einem neuerlichen dankbaren Lächeln und drehte sich weg, um seinem Rat zu folgen. Er berührte sie flüchtig am Arm und zog die Hand dann eindeutig erschrocken wieder zurück. »Ich bin noch den ganzen Abend hier«, sagte er verlegen. »Also nur … ähm … falls Sie vielleicht später mit jemandem reden wollen. Oder noch einen Kaffee trinken.«
»Vielleicht«, antwortete Pia. »Ich … denke darüber nach. Danke jedenfalls.« Und damit ging sie so schnell davon, wie siees gerade noch konnte, ohne zu rennen. In seinen Augen benahm sie sich dadurch wahrscheinlich noch merkwürdiger, aber das war ihr gleich. Um seinetwillen. Die verrückte Idee, dass so etwas wie ein Fluch auf ihr lastete und sie jedem, dem sie mehr als flüchtig begegnete, den Untergang brachte, kam ihr mit einem Mal gar nicht mehr so verrückt vor.
Sie ging tatsächlich bis zur Ampel zurück, wartete brav, bis sie auf Grün umsprang, und überquerte die Straße mit schnellen Schritten. Als sie den Weg in entgegengesetzter Richtung zurückging, beglückwünschte sie sich nicht nur zu ihrem Entschluss, sondern schickte auch ein lautloses Dankeschön in Richtung ihres unbekannten Wohltäters.
In der Krankenhauszufahrt parkte ein silberfarbener BMW. Die Scheiben waren abgedunkelt, aber das Fenster auf der Beifahrerseite war halb heruntergelassen, und blauer Zigarettenrauch kräuselte sich aus dem Wagen. Der Mann auf dem Beifahrersitz trug eine Sonnenbrille und sah nicht in ihre Richtung, aber seine geschwollene Nase war trotzdem deutlich zu erkennen.
Pia stockte mitten im Schritt und konnte selbst spüren, wie sich ihr Gesicht verfinsterte. Verdammt, wo kamen diese Kerle denn so schnell her? Und woher wussten sie überhaupt, wo sie nach ihr suchen mussten?
Wenigstens die Antwort auf den zweiten Teil ihrer Frage gab sie sich augenblicklich selbst. Toni hatte ihr ja gesagt, dass Jesus noch am Leben und im Krankenhaus war, und ihre Reaktion auf diese Eröffnung konnte ihm nicht entgangen sein. Wahrscheinlich reichte selbst die Intelligenz eines brasilianischen Mafia-Azubis aus, um sich zusammenzureimen, wohin sie gehen würde. Aber wieso waren sie so schnell hier aufgetaucht? Auch wenn es ihr sehr viel länger vorkam: Seit ihrer Flucht aus Peraltas Villa war noch keine Stunde vergangen. Onkel José musste geradezu darauf brennen, sie möglichst schnell wiederzusehen.
Und das nächste Gespräch mit ihm würde ganz bestimmt sehr viel unangenehmer verlaufen als das von heute Morgen.
Pia hüllte sich in Schatten, ging ein paar Schritte weiter und wunderte sich fast ein bisschen über sich selbst, eine deutliche Erleichterung zu verspüren, als sie Toni hinter dem Steuer des BMW erkannte. Sein Gesicht war übel zerschnitten, und er trug einen offensichtlich selbst angelegten Verband am linken Handgelenk, aber immerhin lebte er noch. Es war nicht unbedingt so, dass sie die beiden Burschen ins Herz geschlossen hatte … aber von diesem unheimlichen … Ding getötet zu werden, war ein Schicksal, das niemand verdient hatte.
Max sog noch einmal an seiner Zigarette und schnippte den Stummel dann so zielsicher in ihre Richtung, dass sie einen raschen Schritt zur Seite machen musste, um nicht getroffen zu werden. Dann erschien ein seltsamer Ausdruck auf seinem Gesicht, und Pia erstarrte.
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn sah. Genau dieselbe Mischung aus Misstrauen und leiser Verwirrung hatte sie auf Hernandez’ Gesicht gesehen, als er sich über den Brunnenschacht gebeugt und direkt zu Alica und ihr hinabgeblickt hatte. Er sah irgendetwas, aber er konnte nichts damit anfangen, und das verwirrte ihn zutiefst.
Einen Moment lang befürchtete Pia schon, dass er aussteigen und genauer nachsehen würde, aber dann zuckte er nur mit den Schultern, sagte irgendetwas zu Toni und ließ die Scheibe hochfahren.
Pia ging vorsichtig weiter, und obwohl sie unsichtbar blieb, achtete sie darauf, nicht aus den Schatten der tropischen Büsche herauszutreten, die die Zufahrt flankierten. Sie wusste immer noch nicht sehr viel über ihre sonderbare Macht, sich in den Schatten zu bewegen, aber sie wusste
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