Elfenzorn
wirbelnden Vorderhufe schmetterten den Lizard samt seinem Reiter zu Boden, und aus den Reihen der Orks erhob sich ein hundertstimmiges wütendes Gebrüll. Speere und Schwerter wurden in ihre Richtung geschleudert, und schwarze Pfeile mit schrecklichen Widerhaken zischten von ihren Sehnen, aber keines der tödlichen Geschosse erreichte sein Ziel, als der riesige Pegasus seine gewaltigen Schwingen ausbreitete und ins Nichts zwischen den Welten sprang.
VIII
D iesmal war es vollkommen anders. Die wenigen Male, die sie bisher aus dieser in die Elfenwelt hinüber und wieder zurück gewechselt war, hatte sie es praktisch nicht gemerkt, es war einfach nur ein Schritt gewesen, nach dem ihre Umgebung völlig verändert war.
Was Flammenhuf tat, war vollkommen anders. Schlüpfte sie so mühelos von der einen Welt in die andere, wie sie sich auch in einen Mantel aus Schatten und Unsichtbarkeit hüllen konnte, so zertrümmerte der Pegasus die Barriere zwischen den Welten mit einem Hammerschlag, der das Gefüge des Kosmos selbst zum Kreischen brachte und sich wie ein glühender Dolch in ihre Seele grub. Da waren Schmerzen und Licht und ein Gefühl so absoluter Leere und Unendlichkeit, dass sich etwas in ihr krümmte und vor lauter Einsamkeit zu sterben drohte.
Aber an all das erinnerte sie sich erst später, denn noch etwas war anders als die Male zuvor, als sie zwischen den Welten hin- und hergewechselt war:
Sie verlor das Bewusstsein.
Vielleicht war sie auch vom Pferd gefallen.
Jedenfalls fühlte sich ihr Kopf so an. Ihr war warm, auf eine unangenehme, fast schon erstickende Art, sie lag auf etwas Weichem, und in ihrem Hinterkopf hatte sich ein kleiner und außergewöhnlich mies gelaunter Ork eingenistet, der jetzt versuchte, sich mit Schwert, Stachelkeule und Spitzhacke wieder nach draußen zu graben; und das nicht unbedingt auf dem kürzesten Weg.
Vielleicht hatte sie gestern Abend auch nur die eine oder andere Piña Colada zu viel getrunken. Oder Ter Lion und sie hatten ihr Wiedersehen ein bisschen zu ausgiebig gefeiert, und jetzt bezahlte sie eben den Preis dafür. Was immer sie gestern Abend genommen (oder dieses kleine Biest Alica ihr untergejubelt) hatte, sie musste es herausfinden, und sei es nur, um für den Restihres Lebens ganz bestimmt die Finger von dem Zeug zu lassen. Es hatte scheußliche Nebenwirkungen; nicht nur der widerliche Geschmack in ihrem Mund und das Gefühl, allmählich in ihrem eigenen Saft gar gekocht zu werden. Vor allem ihre Erinnerungen spielten vollkommen verrückt. Sie glaubte sich an große Kerle mit schuppigen Gesichtern und mittelalterlichen Waffen zu erinnern, an einen kleinen Kerl mit einem albernen Hütchen und noch albernerer Fistelstimme, an Jesus, den es komischerweise zweimal zu geben schien, und als wäre das alles noch nicht verrückt genug, sozusagen als Sahnehäubchen, an ein fliegendes Pferd , das sie mitten aus der schlimmsten rush hour herausholte, die Rio de Janeiro jemals erlebt hatte.
Ein fliegendes Pferd!
Lächerlich.
Pia öffnete die Augen, blinzelte in ein Gewirr aus Schatten und erstaunlich hellem Licht, vor dem sich etwas bewegte. Sie blinzelte noch einmal, und die Schlieren vor ihren Augen flossen zu einer halbwegs vertrauten Form zusammen; genauer gesagt zu einem leicht verdrießlich aussehenden Pferdegesicht, das aus gut zwei Metern Höhe auf sie herabsah und die gute Gelegenheit gleich noch nutzte, um sie kräftig vollzusabbern. Davon einmal abgesehen, dass Pia noch niemals eine besondere Pferdenärrin gewesen war, fand sie das ziemlich eklig und fragte sich, was ein riesiger weißer Hengst eigentlich im Berufsverkehr von Rio de Janeiro zu suchen hatte. Noch dazu einer mit Flügeln.
Sie schloss die Augen wieder, zählte in Gedanken langsam bis drei und sah dann noch einmal hoch. Abgesehen davon, dass Flammenhuf jetzt ihre Brust vollsabberte und nicht mehr ihr Gesicht (immerhin), hatte sich nicht viel geändert. Sie lag immer noch auf dem Rücken auf einem lebenden Bett aus weichem Moos und angenehm duftender Erde, das Licht war immer noch zu hell und auf eine nur schwer zu beschreibende Art klarer, als es sein sollte, und sowohl das Chaos des improvisierten Showdown zwischen Realität und Albtraum als auch das murmelndeHintergrundrauschen der Millionenstadt waren verschwunden. Es war kein Traum gewesen. Sie war wieder in WeißWald.
Eigentlich hätte es GrünWald heißen müssen, dachte sie benommen, denn da, wo das gnadenlos helle Licht die Umrisse der
Weitere Kostenlose Bücher