Elfenzorn
Kopf und stand noch vorsichtiger auf.
Auf den zweiten Blick unterschied sich dieser Moment doch von ihrem ersten Erwachen in der Elfenwelt. Auch das hier war ein Wald, der vor Leben geradezu aus den Nähten zu platzen schien, aber er wirkte auf eine schwer greifbare Art weniger düster und nicht einmal annähernd so bedrohlich. Als wäre sie hier ... willkommen , wo sie gestern nichts weiter als Beute gewesen war.
Gestern?
Sie sah in die Richtung, in der das Licht am intensivsten war, ging los und erreichte mit wenigen schnellen Schritten den Waldrand. Ihre Fantasie schlug schon wieder die wildesten Kapriolen und gaukelte ihr die schrecklichsten Dinge vor, die sie erblicken würde, aber nichts davon geschah. Nach kaum einem Dutzend Schritten stand sie am Waldrand und blickte auf eine saftige grüne Wiese hinab, die sich mindestens zwei oder drei Kilometer weit erstreckte, bevor sie wieder von Wald abgelöst wurde, kein bisschen weniger dicht als der von gestern, aber irgendwie ... anders . Es war Pia nicht möglich, den Unterschied in Worte zu fassen, aber er war da und im gleichen Maße unsichtbar wie unübersehbar. Das alles hier war richtig . Die Welt, in der sie gestern aufgewacht war, war falsch. So einfach war das.
Pia gestattete sich selbst den kleinen Luxus, noch für eine Weile einer Anzahl esoterischer Gedanken nachzuhängen, die so kompliziert (und bescheuert) waren, dass sie nicht einmal ganz ihr Bewusstsein erreichten, dann erteilte sie sich selbst einen scharfen Verweis, drehte sich mit einem Ruck wieder um und musterte die Welt auf der anderen Seite.
Auf den zweiten Blick sah sie etwas, das sehr viel wichtiger war: Kaum zwei oder drei Steinwürfe entfernt brach sich das Licht der Sonne auf dem Wasser eines schnell fließenden Baches, der irgendwo hinter ihr aus dem Wald kam und seinen Weg in willkürlichen Kehren und Windungen talwärts fand. Allein der Anblick ließ sie nicht nur plötzlich wieder spüren, wie unerträglich warm ihr war, sondern auch, welch schlimmen Durst sie hatte und wie angenehm sie duftete; vielleicht noch nicht ganz so schlimm wie der Barbar gestern, aber sehr viel fehlte nicht mehr.
Sie eilte hin, kniete am Ufer des schmalen Baches nieder und vermied es ganz bewusst, ihr eigenes Spiegelbild zu betrachten – sie war ziemlich sicher, dass ihr nicht gefallen würde, was sie sehen würde. Stattdessen schöpfte sie sich tapfer so lange eiskaltes Wasser ins Gesicht, bis das, was durch ihre Finger zurückrann, nicht mehr schmutzig und mit eingetrocknetem Blut vermengt war, anschließend trank sie ausgiebig und benutzte die gespreizten Finger der Rechten als Kammersatz, um ihr verfilztes Haar in Ordnung zu bringen. Das Ergebnis war vermutlich alles andere als hübsch, und irgendetwas rutschte aus ihrem Haar und fiel mit einem leisen Platschen ins Wasser.
Pia fischte es heraus und betrachtete schaudernd die gut fünf Zentimeter lange, gebogene Kralle. Wie es aussah, hatte sie noch Glück gehabt. Wenn eines der Biester ihr Gesicht erwischt hätte, oder gar ihre Augen ...
Nein, Pia zog es vor, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen. Und schon gar nicht darüber nachzudenken, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, auch nur einen Bruchteil von dem zu überleben, was sie in den zurückliegenden drei Monaten überlebt hatte; geschweige denn alles. Sie musste so etwas wie ein Dauerabonnement bei Fortuna haben.
Die Frage war nur, wie lange es noch hielt.
Sie spürte, wohin diese unerfreulichen Überlegungen führen mussten, brach sie mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln ab und stand auf, um sich den Bauwerken zuzuwenden, die sie entdeckthatte. Sie waren noch ein gehöriges Stück entfernt und eigentlich nur zu erkennen, weil sich ihre Farbe vom allgegenwärtigen Grün des Waldes unterschied. Und sie mussten sehr groß sein, denn sie ragten weit über die Wipfel der Urwaldriesen hinaus, die mindestens zwanzig oder dreißig Meter maßen, wenn nicht mehr. Wären sie spitzer gewesen, hätte Pia sie für Pyramiden gehalten, aber so ...
Nein, sie kam nicht darauf, auch wenn sie erneut das Gefühl hatte, eigentlich wissen zu müssen, was sie dort sah.
Es war auch egal. Diese Gebilde dort hinten waren eindeutig künstlich, und mit ein bisschen Glück traf sie dort auf Menschen, die ihr weiterhelfen konnten.
Mit ein bisschen Pech auf Orks, aber damit würde sie sich auseinandersetzen, wenn es so weit war.
Pia versuchte die Entfernung abzuschätzen, in der sich die Gebäude über den
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