Elfriede im Salon (German Edition)
suchte eine Jazz-CD aus, deren Musik stark von argentinischem Tango beeinflusst war. Die Musik war zum Teil sogar tanzbar, aber keiner der Philosophen würde vermutlich den Wunsch äußern mit einer der Damen zu tanzen. Dann saß Elfriede in der Runde und nippte an ihrem Kaffee, der schwarz war, eben so, wie sie ihn immer trank. Dr. Schwarz bevorzugte eher eine Art Milchkaffee und viel Zucker, Robert Unmuth trank ihn schwarz mit Zucker, während Lulu und Professor Hügel eine normale Variante des Kaffees bevorzugten. Würde das schwarze Gebräu, das Koffein, das bewirken, was Rotwein und der Anblick der nackten Frauenkörper bislang nicht geschafft hatten, nämlich ein Philosophieren einzuleiten, das die kleine Welt des philosophischen Salons noch nicht erlebt hatte. Vielmehr galt zu befürchten, dass die Kaffeerunde dazu benutzt wurde, Weiteres, die von ihnen geforderte Radikalität, aufzuschieben.
Konnte es mit Kaffee gelingen, inspirierende Einsichten in die Sexualität zu gewinnen? Geschützt, wie gepanzert saßen die Männer in ihren Kleidungsstücken und schlürften an ihrem Kaffee. Wer oder was sollte den Liebesreigen einleiten? Die Runde bedurfte Auflockerungsübungen, tanzende Frauen, die die Männer auf die Tanzfläche zögen, um sie tanzend auszuziehen. Dies jedenfalls hätte eine entspannte, euphorische Orgie einleiten können, die allerdings auch befürchten ließ, dass das Denken auf der Strecke blieb. Es schien Tätigkeiten zu geben, die sich mit Denken, insbesondere mit Philosophieren nicht verbinden ließen. Kaffee lässt sich ausgesprochen langsam trinken und diese Zeremonie wurde nun ausgiebig praktiziert. Selbstverständlich war es eine stille Zeremonie, eine Art Meditation, die nicht von vorlauten Worten gestört werden sollte. Unübersehbar thronten die nackten Brüste der Frauen über allen, weckten eine Begierde, die schier unmöglich artikulierbar war. Die Hände hielten die Kaffeetassen und suchten nicht die Brüste, um sie um Rat zu befragen.
Brüste sind gemeinhin nicht als Quelle philosophischer Inspiration bekannt. Philosophie als solche ist nicht dafür bekannt, sich mit Erotik auseinanderzusetzen; dann schon eher die Literatur. Lulus Gedanken kreisten darum, dass ihre zur Schau gestellten Brüste ein Mittel des Gelderwerbs waren. Ihre großen Titten waren nicht auf die Aufgabe vorbereitet, philosophisch inspirierend zu wirken. Den Herren der Kaffeerunde war bekannt, dass der Name der Prostituierten in der Literatur mit Erotik verknüpft war, aber man kannte weder das Drama von Wedekind noch die Oper von Berg. Da Sex eher ein Thema der Literatur als der Philosophie ist, hätte man an diesem Abend die Diskussion auf die in unserer Kultur breit vorhandenen erotischen Literatur stützen können, aber Professor Hügel und Dr. Schwarz hatten niemals etwas gelesen, dass man zur erotischen Literatur zählen konnte. Auch in diesem eher theoretischen Bereich war ihnen Robert Unmuth voraus, der zumindest behaupten konnte, in seinem langen Leben seine Nase in den einen oder anderen Klassiker gesteckt zu haben.
An dieser Stelle sollte vielleicht festgestellt werden, dass die Freunde Philosophen waren, die durchaus in der Lage waren, eigene Gedanken zu entwickeln und zu diskutieren, beispielsweise über den freien Willen, über die Demokratie oder die Implikationen, die ein naturwissenschaftliches Weltbild mit sich brachten, aber Philosophie selbst las man nur am Rande, sodass praktisch nie das Werk eines bestimmten Philosophen diskutiert wurde. Es handelte sich also mehr um “Stammtischphilosophen”, die zwar eine gewisse Allgemeinbildung bzw. Halbbildung mit in die Runde brachten, die ansonsten aber nur Freude am diskutieren und zusammensitzen hatten, ohne sich um historische Zitate zu scheren. Man philosophierte eben mehr, statt über klassische Philosophie zu reden. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, war der philosophische Salon nicht ernst zu nehmen. Das, was hier stattfand, war eher eine nette Freizeitbeschäftigung. Gerade dies hätte den Verlauf dieses Abends beträchtlich erleichtern sollen, da es für den Abend keine Rolle spielte, was Kant, Spinoza oder Aristoteles zur körperlichen Liebe gesagt hatten. Es war hier ähnlich mit einem Malkursus “Malen in Öl” in der Volkshochschule, wo man zu malen hatte und sich auch nicht um die verschiedenen Stilrichtungen der Kunstgeschichte zu kümmern hatte. Das Ziel war nicht Kunst, sondern Malerei. Hätte man sich im
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