Elia Contini 03 - Das Verschwinden
so passierte. Auf der Mitte des Dorfplatzes holte er sie ein.
»Entschuldigung, haben Sie zufällig den Herrn Bonetti gesehen? So um die sechzig, mit Riesenbrille, nicht besonders groß …«
»Den Richter?«, unterbrach sie ihn. »Den kenne ich. Vor ewigen Zeiten war doch dieser Prozess um die Grundstücke unterhalb der Monti di Cò, und ich weiß noch, wie wir in Bellinzona vor Gericht …«
»Aber heute, haben Sie ihn da vielleicht hier im Dorf gesehen?«
»Komisch, dass du das fragst, weil ich habe ihn nicht gesehen, aber die Frau Manetti von der Metzgerei hat mir vorhin erzählt, dass sie ihn getroffen hat. Das heißt, er ist in ihrem Laden gewesen, weil …«
»Sie hat ihn getroffen? Dann ist er ja da!«
»Sie hat gesagt, er hat sie nach dem Weg gefragt, er ist hier mit Freunden zu einem Spaziergang verabredet …«
»Einem Spaziergang!?«
»Junger Mann, wie soll ich reden, wenn du nicht zuhörst?«
Giovanni hielt den Mund.
»Er wollte wissen, wie man nach Valnedo kommt, er war wohl zu spät zur Verabredung und wollte jetzt seine Freunde vom hinteren Weg her einholen, obwohl der meiner Meinung nach ordentlich zugewuchert sein muss, es kümmert sich ja keiner mehr um die Wege …«
Giovanni hörte folgsam zu, bis Signora Peduzzis Rede gewissermaßen an ihr natürliches Ende gelangt war. Dann dankte er ihr für die Auskunft, verabschiedete sich, holte seinen Rucksack und machte sich beschleunigt auf den Weg nach Valnedo.
Wahrscheinlich hatte Bonetti falsch verstanden, er hatte gedacht, sie warteten in Valnedo auf ihn, und sich schon auf den Weg gemacht. Und ans Telefon ging er nicht, weil in diesem Gebirgstal kein Empfang war. Giovanni war ihm völlig umsonst entgegengegangen, und jetzt hatte er einen langen Marsch vor sich, den er sich hätte sparen können, und beeilen musste er sich außerdem, um die verlorene Zeit wettzumachen. Sehr ärgerlich.
Bonetti wäre natürlich lang vor ihm bei Natalia, und sie würde ihm das Missverständnis erklären. Hoffentlich warteten sie auf ihn, bevor sie Bonettis Idee umsetzten, was immer die sein mochte.
Von Corvesco ging der Weg zwischen den vereinzelten Häusern am Ortsrand hindurch, kam auch unweit von Continis Haus vorbei und führte dann aufwärts durch das Gebirgstal zu dem verlassenen Dorf. Giovanni ging schnell. Kurz bevor das Tal anfing, bellte sein Telefon aus dem Rucksack.
Gerade noch rechtzeitig, ehe er kein Netz mehr hätte. Beim Blick auf das Display erkannte er Continis Nummer.
»Hallo, Contini!«
»Ja, ich bin’s.«
»Stell dir vor – grad bin ich an deinem Haus vorbeigekommen.«
»Ist Natalia bei dir? Weil … ich komme, aber …«
Der Empfang war gestört. Von den fünf Symbolen auf dem Display war nur eines zu sehen.
»Was? Ich hör dich schlecht!«
»Natalia … kontrollieren … nicht erschrecken, ich erklär’s dir dann.«
Giovanni hielt sich das freie Ohr zu und drückte das Telefon fest an das andere.
»Tut mir leid, ich versteh dich fast nicht. Natalia was ?«
»Ist Natalia bei dir?«
Jetzt ging es wieder besser. »Nein, sie ist oben in Valnedo. Aber es ist alles okay. Brauchst du was?«
»Nein, keine Sorge. Ich hatte eine Idee und wollte mit ihr reden.«
»Ach! Weißt du, dass auch der Richter Bonetti eine Idee hatte?«
» Was? «
»Ja, er ist auch hier, er war beruflich in der Nähe und hat angerufen …«
»Wo ist Bonetti? Ich hör dich sehr schlecht.«
»Bonetti ist bei Natalia, ja, sie warten in Valnedo auf mich.«
»WAS?? Hör zu! Bonetti hat einen Mord … aber alle drei …«
»Wie bitte?«
»Ich weiß, es ist schwer zu … Bonetti hat … aber so ist es, du musst dich wahnsinnig beeilen!«
»Bonetti hat was gemacht?«
»Ich habe herausgefunden, dass er Natalia an den Kragen will … sie kann sich an Dinge erinnern, die gefährlich für … rechtzeitig in …«
»Ich versteh dich nicht!«
»… bei ihm zu Hause, aber es war niemand da.«
»Ich hör dich nicht, soll ich umkehren?«
»Geh zu Natalia! Schnell! Bleib bei ihr, aber … verstehst du?«
»Ich gehe zu Natalia, ja, aber …«
»Du musst aufpassen, er kann … u … i …«
Continis Stimme reduzierte sich auf ein paar Vokale und war verschwunden. Giovanni stand wie angewurzelt mit dem stummen Telefon am Ohr. Er fragte sich, ob er umkehren sollte, ins Dorf zurückkehren, wo der Empfang besser war. Um diese irre Geschichte aufzuklären – von wegen Natalia in Gefahr und Bonetti gefährlich und Bonetti ein Mörder … Hatte er richtig
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