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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Nähe, er arbeitete sich durchs Dickicht die Böschung hinab. Bald wäre er bei ihr. Natalia konnte nicht bleiben, sie musste weiter, musste ihn abhängen, sonst war sie verloren.
    Sie stemmte sich hoch und setzte ihre Flucht fort. Sie schlug die Richtung ein, aus der sie gekommen war und aus der ihr Verfolger kam – sie lief ihm praktisch entgegen, um ihn auf eine falsche Fährte zu führen. Wieder watete sie durchs Wasser. Sie quälte sich die Böschung hinauf und verfing sich in einem Brombeergestrüpp; als sie sich befreite, zerriss ihre Jeans. Sie durchquerte ein Brennnesselfeld. Und wieder ging es abwärts.
    Sie war schweißüberströmt, die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Finster war es im Wald, aber sie merkte nicht mehr, dass sie im Wald war, sie hörte nicht mehr die dumpfen Explosionen der Feuerwerkskörper. Das einzige Geräusch schien ihr das heiße Keuchen ihres Atems zu sein, das immer lauter wurde, fast ohrenbetäubend in der Stille der Nacht.
    Als sie gegen einen Baumstumpf prallte, hielt sie inne. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder, umrundete den Baum und hastete weiter. Jetzt ging es immer abwärts. Einmal verfing sich ihr rechter Fuß in einer Dornenranke, sie verlor das Gleichgewicht und taumelte mehrere Schritte weit am Rand des Stürzens dahin, fing sich dann doch wieder.
    Im nächsten Moment verschwand der Boden unter ihren Füßen.
    Unter ihr war nichts mehr – nur gähnende Leere. Vor Schreck japste sie nach Luft. Doch im selben Moment, in dem ihr bewusst wurde, dass sie fiel, fing ein Dickicht sie auf, das sie zerschrammte, aber die Wucht des Sturzes dämpfte. Sie rollte auf den Boden und schlug mit dem Kopf gegen einen Stein.
    Halb betäubt befühlte sie ihre Schläfe und spürte, dass sie blutete.
    Minutenlang blieb sie einfach liegen und wartete, dass ihr Herzklopfen sich wieder beruhigte. Mit einem Mal hatte sich eine große Stille über den Wald gelegt.
    Von ihrem Verfolger war nichts mehr zu hören.
    Natalia hatte es geschafft.
    Sie war schneller gelaufen als er, sie hatte ihn abgehängt! Aber in ihren Schläfen hämmerte es, und die Wunde schmerzte, sie war nass bis auf die Knochen, in der Kehle, in der Brust brannte es wie Feuer. Und sie lag auf der Erde. Vorsichtig rappelte sie sich auf, klopfte sich notdürftig ab, pflückte Zweige und Blätter aus ihrem Haar. Ihr Kopf drehte sich – vom Sturz, von der Finsternis.
    Sie hätte gern etwas gesagt, hätte nach Hilfe gerufen, aber sie konnte nicht. Natalia brachte keinen Ton heraus. Sie wusste nicht, wo sie war, und erinnerte sich nicht, wie sie hierher geraten war. Sie wusste nur, dass sie um ihr Leben gerannt war: Es war, als hätte ihr diese lange Flucht jeden Gedanken geraubt. Aber eines immerhin war ihr klar: Sie war allein, und sie war in Gefahr.

2
Der Mörder
    Luciano Savi schlief in einem Zimmerchen im ersten Stock direkt über dem großen Saal des Tukan. Als Rosalba noch bei ihm gewesen war, hatte er mit ihr in einem Häuschen am Nordrand von Bellinzona gewohnt, aber nach ihrem Tod wollte er von dem Haus nichts mehr wissen. Sich in die Arbeit zu stürzen war seine Art, bei Verstand zu bleiben, und da konnte er genauso gut hier wohnen, über seinem Lokal.
    Aber in dieser ersten Nacht nach dem Unglück konnte Savi nicht schlafen, obwohl das Tukan geschlossen war. Er hatte seinem Personal den Abend des ersten August frei gegeben – nicht aus Großzügigkeit gegenüber seinen Mitarbeitern, sondern um sich auf das Gespräch mit der Frau des Doktors vorzubereiten. Aber das Treffen war denkbar schlecht verlaufen. Savi war in tiefster Nacht heimgekommen und hatte als Erstes zwei Gläser Whiskey in sich hineingeschüttet. Gesicht, Hals, Arme waren schweißnass. Er konnte von Glück sagen, dass ihm auf der Rückfahrt mit dem Auto nichts passiert war.
    Nur ein einziger Gedanke ging in seinem Kopf herum: Was hab ich getan? Er verfluchte und beschimpfte sich mit allen Beleidigungen, die ihm in den Sinn kamen, und zwischendurch wiederholte er verzweifelt: Was hab ich getan, was ist mir nur eingefallen …
    Und noch einen Gedanken hatte er gehabt: Hoffentlich hält mich die Polizei nicht auf.
    Er hatte nichts getrunken, hatte nichts Illegales bei sich. Aber er hatte eine Frau umgebracht, hatte sie eigenhändig ermordet, und dass er das nicht verheimlichen konnte, war klar. Mit der Furcht, entdeckt und überführt zu werden, diesem Gefühl, am Abgrund zu stehen, würde er jetzt immer leben müssen. Nie wieder würde er einen

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