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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Versuchter Einbruch, der schiefgegangen ist. Doch De Marchi hatte seine Zweifel. Nicht zuletzt deshalb, weil niemand etwas vom Verbleib der Tochter wusste. Wo war sie?
    Seit Stunden suchte die Polizei nach Natalia Rocchi. Sie war spurlos verschwunden.

3
Eine Wildnis
    Natalia folgte dem Bachlauf. Irgendwann stieß sie auf einen Weg, der zwischen Farnen und Brennnesseln durchs Unterholz führte. Dann stand sie unvermittelt vor einer hohen Mauer.
    In deren Mitte war ein Loch, aus dem Wasser sprudelte. Ringsum war blanker Fels. Am Fuß des Wasserfalls hatte sich ein dunkelgrüner Tümpel gebildet. Das Tosen des Wassers übertönte alle anderen Geräusche, und ein Gischtnebel wehte Natalia ins Gesicht. Der Pfad schlängelte sich rechts an der Mauer vorbei. Sie folgte ihm.
    Die Mauerkrone war mehrere Meter dick. Natalia ging sie der Länge nach ab: Gut zehn Meter waren es, bis der gemauerte Stein mit der Felswand zusammenstieß. Auf der anderen Seite der Mauer, zwei, drei Meter tiefer, hatte sich der Bach ein steiniges Bett gegraben. Rechts führte eine Eisenleiter von der Mauerkrone zum Bach hinunter. Natalia kauerte sich nieder und legte eine Hand an die oberste Sprosse. Ihr Blick war abwesend, als wäre sie in Gedanken weit fort, aber schließlich raffte sie sich auf und stieg hinunter.
    Vor ihr tat sich eine Wildnis auf.
    Natalia sah alles wie zum allerersten Mal. Es war, als betrete sie ein verborgenes Reich, als sei jenseits der Mauer nichts mehr wie zuvor – als gebe es dort keine normalen Menschen mehr, keine Häuser, kein bekanntes Land. Dicht standen die Bäume zu beiden Seiten des Bachs, und hier und dort bildete das Wasser reglose Tümpel, die im Morgenlicht glitzerten. Ein paar Hundert Meter weiter krümmte sich der Bach zwischen Felsen und Wald und verschwand, und Natalia war sicher, dass er sie, wenn sie ihm folgte, aus Zeit und Raum entführen würde.
    Sie bewegte sich langsam, tastete sich vorsichtig von einem Stein zum nächsten. Sie wusste nicht, was ihr zugestoßen war, sie erinnerte sich nur, dass sie die ganze Nacht unterwegs gewesen war. Die Dunkelheit nahm kein Ende. Irgendwann hatte sie sich auf der Erde zusammengerollt, um kurz zu rasten, aber dann hatte die Kälte ihr zugesetzt, die Kälte und die Feuchtigkeit der Nacht. Daran erinnerte sie sich. Ihre Füße waren nass, auf ihren Haaren und Kleidern hatten sich Tröpfchen gebildet, und sie war frierend weitergelaufen, bis die Sonne aufging und sie allmählich wieder aufwärmte.
    Hier und dort lagen entwurzelte Stämme quer über dem Bach und erschwerten das Durchkommen, und Natalia kletterte mühsam darüber hinweg. An anderen Stellen errichteten Äste, die bis ins Bachbett hingen, eine grüne Barriere; dann wich sie auf die Uferböschung aus und arbeitete sich durch Unterholz und Gestrüpp vorwärts, wo immer wieder tiefe Löcher klafften und Steine aus der Erde ragten.
    Bevor sie am Morgen wieder aufgebrochen war, hatte sie die Schuhe ausgezogen und zum Trocknen in die Sonne gelegt. Sie hatte Wasser aus dem Bach getrunken und einen Müsliriegel gegessen, der sich in ihrer Umhängetasche fand. In der Ferne hatte sie zwischen Bäumen ein Stück Straße gesehen und ein vorbeifahrendes Auto. Sie hatte sogar eine Stimme gehört, die jemandem einen Gruß zurief. Aber sie hatte sich gehütet, sich zu zeigen.
    Die Uferböschungen wurden immer steiler, und der Himmel über ihr schrumpfte zu einem kleinen Ausschnitt zusammen, einem Stück Blau zwischen Felsen und Baumwipfeln. Natalia verfing sich in einem Spinnennetz und fuhr sich angewidert mit der Hand übers Gesicht. Außer dem sprudelnden Bach und den darüber tanzenden kleinen Insekten war die Welt reglos. Das Tosen des Wassers war das einzige, alles überdeckende Geräusch, und besonders laut war es dort, wo Felsen das Bachbett zu einer schmalen Rinne zusammenschoben.
    Natalia gelangte zu einem Felsabbruch, über den der Bach als Wasserfall hinabstürzte; unten hatte er sich eine Gumpe in sein steiniges Bett gehöhlt, und darin lag ein halb verwitterter Baumstamm. Sie blieb stehen. Beinahe senkrecht ging es unter ihr in die Tiefe, und die Felswände waren nass und glitschig. Hier kam sie nicht weiter. Kein Sonnenstrahl drang hierher, und der Bach wirkte dunkler, an manchen Stellen beinahe schwarz. Natalia setzte sich ans Ufer. Sie wusste nicht weiter. Sie hatte Angst.
    Nach halber Fahrt durch unser Erdenleben / Fand ich in einem Wald mich, irrgegangen, / Weil ich des rechten Wegs nicht

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