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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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achtgegeben. Contini wusste die Verse längst auswendig. In schwarzer Nacht, von wüstem Wust umfangen. / Noch jetzt – wie sagt sich’s herb von all den Schrecken – / Ergreift ihr Nachbild mich mit Todesbangen . Im Übrigen las er nur dieses eine Buch. Als Kind hatte er seinen Vater ganze Passagen aus der Göttlichen Komödie auswendig rezitieren hören. Und Contini junior hatte die Tradition dann für sich weitergeführt.
    Sogar im Büro las er, wenn ein Leerlauf eintrat, immer wieder mal ein Stück Dante. Jetzt herrschte allerdings kein Leerlauf. Gianni Schiavo, der Chef vom Dienst, telefonierte mit dem Chefredaktor in Lugano. Contini klappte das Buch zu und machte sich wieder an die Arbeit: Er war damit beschäftigt, den Katalog mit den Archivausgaben der drei Tessiner Tageszeitungen und der wichtigsten Wochenzeitungen neu zu gestalten. Bis zu diesem Tag war ihm nicht bewusst gewesen, wie viele Publikationen die italienische Schweiz vorzuweisen hat.
    »Natürlich habe ich Contini hingeschickt!« Schiavo warf ihm einen stirnrunzelnden Blick zu. »Aber was hätte er denn tun können?«
    Eine Pause. Wieder blickte Schiavo zu ihm herüber, diesmal mit einer Grimasse. Er war ein beleibter Mann mit dauergeröteten Wangen und lebhaft funkelnden Äuglein. »Na gut«, knurrte er schließlich. »Ich sag ihm, er soll sich mal umschauen.«
    Pause.
    »Aber abgesehen von haltlosen Gerüchten haben wir ordentlich was beisammen. Erstens haben wir ein Foto des Opfers, zweitens wissen wir, dass es Mord war und dass, drittens, die Polizei keinen blassen Schimmer hat, wo die Tochter ist.«
    Pause.
    »Weg ist sie halt. Nein, glaub ich nicht, dass sie’s war, aber was das Motiv betrifft, tappen sie sowieso im Dunkeln. Vielleicht ist sie ja irgendwie in die Sache verwickelt.«
    Contini musste an Enzo Rocchis Anfrage denken. Kurz vor seinem Tod hatte er ihn per Mail in einer vertraulichen Angelegenheit um Hilfe gebeten und war nicht lang danach seinem Herzinfarkt erlegen. Als Nächstes wurde seine Frau überfallen und umgebracht; und noch in derselben Nacht verschwindet die Tochter. Gesetz der Serie? Tja. Das Leben ist voller Zufälle. Doch Contini war überzeugt, dass auch Zufälle nicht ohne Ursache sind.
    Aber er war natürlich ein schlichter Geist … Was war er schon? Halb Fotograf, halb Journalist, beides ungelernt. Einer, der im besten Fall für den Lokalteil taugte. Verbrechen fielen nicht in sein Ressort.
    »Na gut, na gut«, sagte Schiavo ins Telefon. »Nachher versuche ich bei der Polizei durchzukommen. Okay, bis dann, ciao.«
    Er legte auf, sah Contini an und sagte: »Dem passt sowieso nie was.«
    Contini zuckte stumm die Achseln.
    »Dafür, dass wir hier nur vier Hanseln sind, war das keine schlechte Arbeit, finde ich«, fuhr Schiavo fort. »Ich habe Gino auf die Verwandten angesetzt, aber es gibt praktisch keine. Vater tot, Tochter verschwunden.«
    »Hat sie kein Natel?«, fragte Contini.
    »Was weiß ich. Vielleicht ist es aus, oder sie hat es zu Hause gelassen.«
    »Eigenartig. Ob sie auch umgebracht wurde?«
    »Und die Leiche? Die Polizei hat rund ums Haus den Wald abgesucht, aber nichts. Nein, wenn du mich fragst, hat sie die Fliege gemacht. Da war doch ein Auto, oder?«
    Contini hatte den Umstand genutzt, dass er in Corvesco jeden kannte, und ein paar Leute ausgefragt. Und dabei hatte er erfahren, dass irgendwann im Lauf des Abends ein Wagen vom Haus der Rocchis weggefahren war. Das konnte der Mörder gewesen sein, aber war es aus der Sicht eines Mörders nicht sträflicher Leichtsinn, direkt vor dem Haus zu parken? Vielleicht, dachte Gianni Schiavo, hatte jemand Natalia Rocchi mitgenommen.
    »Ich weiß ja nicht, ob sie was mit dem Verbrechen zu tun hat oder nicht«, sagte der Chef vom Dienst, während er die Kaffeemaschine in Gang setzte. »Aber dass sich eine Siebzehnjährige mit dem Auto abholen lässt, finde ich jetzt nicht besonders eigenartig.«
    »Ich meine, es ist eigenartig, dass sie ihr Handy nicht dabeihat.«
    »Das ist wahr. Vielleicht ist sie ja entführt worden. Sozusagen mit Gewalt abgeholt.«
    »Aber wozu?«
    Schiavo schüttelte verdrossen den Kopf. Das war doch nur sinnloses Spekulieren. Er rief die zwei Journalisten herüber, die im Nebenzimmer saßen. Die Redaktionssitzung, bei der die Themen und die grobe Seitenaufteilung festgelegt wurden, fand normalerweise um zehn Uhr vormittags statt; an diesem Tag waren sie darauf eingestellt, die Titelseite noch in letzter Minute umzustoßen, falls sich

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