Elia Contini 03 - Das Verschwinden
Forellen mit Bratkartoffeln nicht schmecken würden.
»Du, Papa, glaubst du, dass der Mörder auch die Tochter umbringen wollte?«
»Was redest du denn da?«
»Ich weiß nicht, sie ist doch abgehauen.«
»Oder man hat sie entführt. Also mich macht das nervös, dieses Thema, schau her, wie schlecht ich gestrichen habe.«
»Vielleicht ist es ein Schock?«
»Was für ein Schock?«
»Die Tochter der Rocchis. Vielleicht ist sie eben nicht entführt, sondern steht unter Schock und irrt durch den Wald. Angenommen, sie weiß auch nicht, was passiert ist und was sie jetzt machen soll. Sie hat beide Eltern verloren. Und in der Zeitung steht …«
»Giovanni.«
»Ja?«
»Reim dir da nichts zusammen.«
»Aber …«
»Es ist eine Tragödie. Darüber redet man nicht, als wär’s eine Soap im Fernsehen.«
»Aber ich mein’s ernst.«
»Ach ja? Du meinst also, sie ist im Zustand des Schocks geflohen. Und wie kommt es, dass diese Natalia seit zwei Tagen durch die Wälder läuft, ohne dass jemand sie gesehen hat?«
»Jemand hat sie gesehen.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Vielleicht hab ich sie gesehen.«
7
Angehörige
Elia Contini war sich bewusst, dass viele in ihm einen Sonderling sahen, um nicht zu sagen: den Dorftrottel. Im besten Fall einen Eigenbrötler, der mutterseelenallein in einem großen Haus lebte, der Privatdetektiv gewesen war, wie im Film, und den Füchsen im Wald auflauerte, um sie zu fotografieren. Und der zu allem Überfluss zum Spaß Schiffchen baute und im Tresalti schwimmen ließ.
Vielleicht hatten sie nicht ganz Unrecht. Vielleicht waren seine starren Rituale ein Versuch, keine Flanke ungeschützt zu lassen.
Zu seiner Überraschung fand sich diesmal kein einziges Floß im Sammelbecken. Am ersten August hatte er zehn Stück hineingeworfen, und anscheinend hatte der Tresalti alle mitgenommen. Vielleicht tauchte ja beim nächsten Regen noch eines auf. Contini nahm seinen Strohhut ab und wischte sich die schweißnasse Stirn. Er beschloss, sich ein kühles Bier zu gönnen. Er ging an seinem Haus vorbei durchs Dorf bis zum Grotto Pepito.
An der Bergflanke ein Stück oberhalb des Dorfs hatte vor über hundert Jahren ein gewisser Pepito Bottecchi eine Reihe von Höhlen aus dem Felsen geschlagen und Gast- und Kellerräume darin eingerichtet, in denen es immer kühl und dunkel war. Sommers saß man an Steintischen unter Eichen und Kastanien, trank Rotwein und aß Wurst und Käse. Giocondo Bottecchi, der Enkel des Gründers, empfing Contini mit finsterer Miene.
»Ich weiß«, sagte Contini. »Scheußliche Geschichte.«
»Sammelst du Material für die Zeitung?«
»Die zahlen mir mein Gehalt.«
In Corvesco wurden Journalisten und Tratsch nicht geschätzt. In dieser Hinsicht war Contini einer Meinung mit den Einheimischen, aber seitdem er bei der Zeitung arbeitete, begegnete ihm mancher mit Argwohn, als wäre er ein Fremder. Giocondo redete frei von der Leber weg.
»Du gehst aber nicht hin und erzählst unsere Angelegenheiten weiter?«
»Giocondo, du kennst mich.«
»Wieso will dieser Typ dann mit dir reden?«
Contini folgte der Richtung, in die Giocondos Kopf wies, und erblickte einen braun gebrannten Mann um die fünfzig mit graumeliertem Haar und Bart.
»Was will er?«
»Er heißt Canova«, sagte Giocondo. »Frag ihn selber.«
Es war zwei Uhr nachmittags. Contini bestellte ein Bier vom Fass für sich und einen Nusslikör für Canova.
»Entschuldigen Sie, Signor Contini, ich weiß, dass Sie nicht mehr Detektiv sind.«
»Das stimmt.«
»Aber ich bin im Zweifel, und wenn Sie erlauben, sage ich Ihnen, worum’s geht.« Canova sprach hastig. »Ich persönlich wollte ja zur Polizei gehen, aber mein Sohn ist dagegen, er sagt, das Mädchen wäre stinksauer auf ihn. Außerdem bin ich nicht sicher, ob er wirklich Recht hat mit seiner Vermutung, und ich blamiere mich ungern. Das Mädchen …«
»Moment«, unterbrach ihn Contini. »Von welchem Mädchen reden Sie?«
»Natalia Rocchi. Sie wissen schon – die Tochter von …«
»Ich weiß, ja. Und was hat Ihr Sohn damit zu tun?«
»Tja, er sagt, er hat sie gesehen, gestern Nachmittag. Er war beim Angeln, und dann stand sie plötzlich da. Er sagt, er habe mit ihr geredet. Aber sie sei stumm gewesen wie ein Fisch. Giovanni meint, sie stehe unter Schock. Er sagt, sie sei abgehauen, womöglich aus Angst. Ich verstehe ja nichts von solchen Dingen, ist nicht mein Beruf … ich bin Buchhalter, verstehen Sie, aber ich denke, wenn Giovanni …
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