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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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leiseste Ahnung.«
    »Und wenn wir sie finden? Was wird aus ihr?«
    »Tja …« Bossi presste die Lippen zusammen. »Scheußliche Sache. Natalia ist noch minderjährig, und sie hat keine nahen Verwandten, die in der Lage wären, sich um sie zu kümmern. Ich muss das Vormundschaftsamt kontaktieren, irgendeine Lösung muss gefunden werden. Aber das Wichtigste, lieber Herr Kommissär, ist natürlich die Frage, wo sie überhaupt ist.«
    Der Commissario nickte. »Natürlich. Vorausgesetzt, sie …«
    »Sagen Sie’s nicht.« Bossi entflocht seine Hände und legte sie flach auf den Tisch. »Sagen Sie’s nicht mal theoretisch. Wir müssen zuversichtlich sein!«
    Der Junge redete und redete.
    Am Ende lief Natalia doch davon. Ein Teil von ihr wollte bleiben, ihn um Hilfe bitten. Aber wie – sie konnte sich nicht äußern, sie konnte einfach nichts sagen! Und dann fing der Junge auch noch an, schwierige Dinge zu reden, die Natalia nicht verstand, und das schockierte sie zutiefst. Nach einer Weile wechselte der Junge die Taktik; er kam näher, aber nicht zu nahe; er hatte intuitiv erfasst, dass Natalia Angst vor diesen Wörtern hatte, und verwendete andere.
    Er erzählte von sich. Er sagte noch einmal, dass er Giovanni heiße und dass er siebzehn sei – sie hatte ihn für älter gehalten. Er mache eine Druckerlehre, präzise Arbeiten machten ihm Spaß; und übrigens komme er jetzt schon das dritte Jahr in den Ferien nach Corvesco, mit seinen Eltern und Geschwistern. Komisch, dass sie einander noch nie begegnet seien.
    Während der Junge redete, wich Natalia langsam in den Wald zurück, weil sie fürchtete, sie könnte sich nicht mehr losreißen, wenn sie noch länger dastand. Aber er folgte ihr einfach. Und während der ganzen Zeit redete er auf sie ein, er half ihr zuvorkommend durch unwegsames Gelände und redete. Einmal stolperte sie, und er hielt sie am Ellenbogen, damit sie nicht stürzte. Natalia protestierte nicht. Aber sie beschloss, bei der nächsten Gelegenheit zu fliehen.
    Als sie auf dem Weg angelangt waren, ließ sie sich zurückfallen, bis sie hinter ihm ging. Und irgendwann, als das Unterholz dichter wurde, schlug sie sich seitlich in die Büsche.
    »Hey!«, rief der Junge, als er ihr Verschwinden bemerkte. »Hey, wo willst du hin?«
    Natalia rannte bergauf, während der Junge irgendwo weiter unten nach ihr rief. Mit einer Hand umklammerte sie die Tüte mit ihrem Essen, und die Umhängetasche schlug ihr bei jedem Schritt auf den Rücken. Minuten später, als sie schon keuchte, entdeckte sie einen anderen, halb überwucherten Weg, und nachdem der Junge nicht mehr zu sehen war, versuchte sie diesen.
    Nach einer Weile kam sie zu einem hölzernen Brunnentrog. Der Wald öffnete sich zu einer Lichtung, und dort stand eine kleine Kirche. Dahinter erkannte Natalia Mauerreste zwischen den Bäumen.
    Sie wunderte sich und verstand erst nicht, bis ihr das Ruinendorf Valnedo einfiel, der Geisterort, dessen Geschichte sie als Kind in Corvesco gehört hatte. Vor dreihundert Jahren war das Dorf bewohnt, aber irgendwann waren die Bewohner weggezogen, einer nach dem anderen, niemand wusste, weshalb. Die Leute ließen ihre Häuser und Felder im Stich, ihre Ställe und sogar die Mühle am Bach. Der Wald nahm die gerodeten Flächen wieder in Besitz, und von Valnedo blieben nur ein paar Ruinen im Bergwald.
    Natalia schauderte. Über der gähnenden Türöffnung eines eingestürzten Hauses sah sie ein eingemeißeltes Kreuz. Sie umrundete eine von Gestrüpp überwucherte Mauer und erspähte dahinter die Ruine eines Gebäudes, das mächtiger gewesen war als die übrigen. Aus seiner leeren Mitte wuchs ein Baum, und dessen Krone beschirmte das Haus wie ein Dach.
    Valnedo war der richtige Ort für sie.
    Zwischen diesen halb zerfallenen Häusern würde sie sich verstecken, hier konnte sie beizeiten jeden Näherkommenden entdecken. Sie kehrte zum Brunnen zurück und erfrischte sich, und währenddessen betrachtete sie das Kirchlein. Sie ging darauf zu und versuchte die Tür zu öffnen, fand sie aber versperrt. Auf der Rückseite, unterhalb des kleinen Turms, war noch eine zweite, schmalere Tür, die nachgab, als Natalia auf die Klinke drückte, und sich schleifend öffnete.
    Drinnen war es kühl und still. Zu ihrer Überraschung war die Kirche intakt, nur der Staub der Jahrhunderte deckte alles zu. Natalia bekreuzigte sich. Sie trat auf den Altar zu, hinter dem der Gekreuzigte hing, und dachte daran zu beten, aber sie wusste nicht, wie sie

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