Elidar (German Edition)
Sturmes drang. Elidar kniff die Augen gegen den Wind zusammen, und sah, dass unmittelbar vor ihrem Gesicht eine faustgroße Kugel aus glühender Schwärze reglos in der Luft hing. Doch kleine silberne Funken und Wirbel tanzten durch die Schwärze und erweckten den Anschein, dass die Kugel sich rasend schnell drehte. War sie der Ursprung des Windes? Elidar versuchte, die Kugel zu berühren. Doch obwohl sie dicht vor ihrer Nase zu hängen schien, konnte Elidar sie selbst mit ausgestrecktem Arm nicht erreichen. Mit einem Mal schien ihr die Kugel nicht mehr faustgroß und nah, sondern weltengroß und weit entfernt zu sein.
»Was bist du?«, schrie Elidar, um den Sturm zu übertönen.
Wir sind die M/ü/t/t/e/r Wir sind die T/ö/c/h/t/e/r. Elidar schwankte. Es war eine Stimme und gleichzeitig war es ein ganzer Chor von Stimmen, die sie da hörte.
»Welche Mütter? Wessen Töchter?«, fragte sie.
Deine M/ü/t/t/e/r /deine T/ö/c/h/t/e/r , antwortete die Stimme. Du bist die junge Königin, du bist die Mutterkönigin. Du bist die Erwartete, die uns nach Hause bringt. Wir waren getrennt, wir werden eins in dir, und wir werden wieder geteilt, wenn du uns gebierst. Das ist der ewige Kreislauf, Tochterkönigin/Mutterkönigin.
»Ich verstehe das nicht«, schrie Elidar verzweifelt. »Erklärt es mir!«
Schweigen, nur der Wind pfiff, heulte und sauste wie ein verdammtes Wesen, das um Erlösung bettelte. Elidar sah in das wirbelnde Schwarz der Sphäre, die sich sternenweit entfernt um ihre eigene Achse drehte. Sie hob die Hand, streckte den Finger aus und berührte den glühenden Ball. Ihre Hand schloss sich darum. Glatt und kühl wie Marmor, schwer wie eine Welt aus Blei, gleichzeitig heiß und mitternachtskalt lag die Kugel in ihrer geschlossenen Hand. Elidar spürte das Wirbeln und Glühen, es drohte ihr die Hand zu versengen und alle Fingerknochen zu brechen, aber sie öffnete die Hand nicht. Dann verschwand das Gefühl, eine Welt zwischen den Fingern zu halten. Die Kugel war fort. Drachentochter , flüsterte die Stimme, und der Wind erstarb. Das Mal an Elidars Schläfe pulsierte in scharfem Schmerz. Sie schrie auf, hob die Hände zum Kopf …
»Alles gut, alles gut. Kannst du mich hören? Siehst du mich?« Eine Hand umklammerte ihren Arm. Elidar stöhnte und ließ sich von Eusebian aufhelfen. Sturm kam an ihre Seite und führte sie ein Stück beiseite. »Was hast du gesehen?«, fragte er gedämpft.
»Eine schwarze Sphäre«, erwiderte Elidar zögernd, während Bilder über Bilder durch ihren Kopf schossen. Wirbelnde Sphären in allen Farben des Regenbogens, Augen ohne Körper, die sie starr anblickten, flüsternde und donnernde Stimmen … Sie ächzte und legte die Hand auf das pochende Mal an ihrer Schläfe.
Seine Magnifizenz nickte befriedigt über diese magere Antwort. »Das Auge der Dunklen Nigh hat dich erkannt«, sagte er. Er wandte sich mit erstaunlicher Energie zum Custos um und rief: »Lass die Einkleidungszeremonie für morgen ansetzen, Eusebian. Das Auge hat beide Novizen erkannt. Wir haben zwei neue Magister.«
Der Cubicular hob in gespieltem Erstaunen die Hände. »Du alter Fuchs«, sagte er unter anerkennendem Kopfschütteln. »Das Kollegium wird toben.«
»Das kann es ruhig tun«, erwiderte Sturm. »Diese beiden sind ab heute als Magister unseres Ordens anerkannt - nicht durch mich oder das Kollegium, sondern durch die Dunkle Nigh selbst!«
Er wandte sich an Elidar und Valon, der sich aufgerappelt hatte und zu ihnen gekommen war. »Magister Unstern, Magister Zorn - es ist mir eine Ehre, euch als erster gratulieren zu dürfen.«
Valon klappte die Kinnlade herunter. »Was?«, fragte er.
Eusebian, der inzwischen seine Kapuze abgestreift hatte, lachte und klopfte dem jungen Magier auf den Rücken. »Magister Unstern. Ein schöner Name. Ich gratuliere.« Dann reichte er, ein wenig ernster, Elidar die Hand. »Magister Zorn. Ich freue mich für dich. Das kann dir nun keiner mehr nehmen.«
»Nein«, bestätigte Sturm. »Deine Ernennung ist besiegelt und bekräftigt durch die allerhöchste Instanz unserer Bruderschaft.« Er schwankte leicht, und der Cubicular griff nach seinem Ellbogen.
»Gehen wir hinauf«, sagte Eusebian und öffnete die Tür. »Wir können alle eine Stärkung gebrauchen.«
Elidar ging an Valons Seite, während sie vergeblich versuchte, das Geschehene zu verstehen. »Was ist dir begegnet?«, fragte sie leise.
Valon, dessen Blässe langsam verschwand, fuhr sich mit den Fingern über
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