Elidar (German Edition)
Nkar-Dag zu. »Der Ehrwürdige erwartet dich, Nestbruder.« Er streifte Luca mit einem flüchtigen Blick, in dem sich gleichermaßen Neugier und Verachtung mischten. Er hob die Fackel ein wenig höher und deutete ihnen den Weg.
»Danke, Nestbruder«, erwiderte der Legat. »Gehen wir, Freund Luca.«
Luca sah, dass der andere Dkhev die herzliche Anrede des Legaten registrierte. Er nickte Luca kurz zu und wandte sich ab. »Ich gehe vor.«
Luca und der Legat folgten dem Dkhev ins Innere des Hauses. Luca sah sich neugierig um. Die Spuren der Vernachlässigung und des Verfalls waren groß. Wohnte hier wirklich jemand? Er kannte Dkhev-Kaufleute und Wirte, die im menschlichen Teil der Altstadt ihre Geschäfte betrieben, und hatte die Lokalitäten immer für penibel sauber und höchst ordentlich befunden. Das hier erschien ihm seltsam und untypisch für die Echsenmenschen.
»Sag mir, Nkar-Dag«, wandte er sich an seinen Begleiter, »wo sind eigentlich eure Frauen? Ich glaube, ich habe noch nie eine von ihnen zu Gesicht bekommen.« Hoffentlich war das keine Frage, die den sofortigen Tod nach sich zog, überlegte er ein wenig zu spät.
Der Legat hob in einer eigentümlichen Geste die Hände. »Keine Frauen«, sagte er. »Nicht hier.«
Keine Frauen - nicht hier? Luca runzelte die Stirn. Kayvan war, so viel er wusste, die letzte Kolonie der Dkhev in Yasaim. Gab es irgendwo anders noch Nester, in denen die Frauen lebten? Und was war das hier - eine Art Kaserne?
Sie waren inzwischen tief in den Bauch des Hauses eingedrungen. Es war stockfinster, nur die Fackel spendete eine kleine Lichtinsel. Luca konnte kleine Ausschnitte des Interieurs erhaschen - leere Zimmerfluchten, leere Gänge, Haufen von Schutt, herabhängende Wandbespannungen und zerborstene Täfelungen. Das hier musste einmal ein hochherrschaftliches Gebäude gewesen sein.
Eine weitere Flügeltür öffnete sich vor ihnen. Dahinter war es zum ersten Mal nicht stockfinster, sondern Kerzenlicht und ein Kaminfeuer blendeten seine inzwischen an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Wärme schlug ihnen entgegen. »Ah«, machte Luca unwillkürlich.
»Ehrwürdiger Nestvater, deine Gäste sind eingetroffen«, meldete ihr Führer.
»Bring sie her«, erwiderte eine kräftige Bassstimme.
Luca sah sich im Zimmer um. Es war nicht groß, und es war beinahe so kahl wie alle anderen Räume, die sie durchquert hatten. Keine Teppiche, keine Dekorationen, kaum Möbel. Auf einer harten Bank neben dem Kamin saß hoch aufgerichtet ein Dkhev und sah ihnen entgegen.
Nkar-Dag schritt neben Luca auf den Mann zu und ließ sich einige Schritte vor ihm geschmeidig auf die Knie sinken. Er legte die Hände auf den Boden und seine Stirn darauf. Luca blieb unbehaglich neben ihm stehen.
»Erhebe dich, Nestsohn«, sagte der Alte Drache, Mukhar-Dag. »Das ist er also.«
»Das ist Luca, Ehrwürdiger.«
Mukhar-Dag musterte Luca vom Kopf bis zu den Füßen. »Er ist versehrt?«, fragte er den Legaten.
Luca biss die Zähne zusammen. Es war demütigend, wie der Alte Drache über ihn sprach, als wäre er nicht anwesend.
»Ja, ich bin ein Krüppel«, sagte er laut.
Die beiden Dkhev sahen sich und dann ihn an. »Ich war unhöflich, vergib mir«, sagte der Alte Drache zu Lucas Überraschung. »Ich bin es nicht mehr gewöhnt, mit Menschen Umgang zu pflegen, das ist Nkars Aufgabe.«
Luca nickte knapp. »Was willst du von mir?«, fragte er geradeheraus. Das lange Warten und sein schmerzendes Bein machten ihn ungeduldig.
Der Alte Drache gluckste leise. »Komm her, lass dich ansehen. Du siehst ganz anders aus als die Menschen von Kayvan, das interessiert mich.« Er winkte mit seiner vierfingrigen Klauenhand.
Luca humpelte zur Bank, auf der das Oberhaupt der Dkhev saß. Mukhar-Dag deutete auf den Platz an seiner Seite. »Setz dich hierher.«
Nkar-Dag sog scharf die Luf ein. »Ehrwürdiger …«, sagte er, und es klang schockiert.
»Danke, Nestsohn«, unterbrach Mukhar-Dag ihn. »Ich lasse dich rufen.«
Nkar-Dags Zunge zuckte aus dem lippenlosen Mund und wurde mit einem kleinen Zischen wieder zurückgezogen. »Ehrwürdiger«, sagte der Legat, verbeugte sich steif und ging hinaus.
»Jetzt ist er gekränkt«, sagte der Alte Drache. »Er ist ein guter Junge.«
Luca lachte. Es klang zu ulkig, den nicht mehr ganz jugendlichen Legaten als »Jungen« bezeichnet zu hören.
Der Alte Drache zwinkerte. Seine Augen waren groß und strahlend gelb. »Du gehörst nicht mehr zur Garde dieses fetten Stinktiers,
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