Elidar (German Edition)
unscheinbar.
»Wenn dich jemand danach fragt, hast du ihn nicht von mir«, sagte Eusebian. »Ihr Novizen dürft so was gar nicht benutzen, aber ich finde immer, man muss euch die ersten Wochen nicht schwerer machen als unbedingt nötig. Ihr habt so viel zu lernen.«
Elidar fand das zwar sehr nett, aber sie wusste nicht, wie ein Kieselstein ihr da helfen konnte.
Der Cubicular lächelte so breit, dass die Sommersprossen auf seiner Nase zu tanzen begannen. »Halt den Stein zwischen zwei Fingern. Ja, so.« Er beugte sich vor und legte seine Hand um Elidars Finger und den Stein. Elidar roch seinen Atem, eine Mischung aus Minze und Zwiebeln. Dann wurden ihre Finger warm und ein scharfes Prickeln zog durch ihre Hand, bewegte sich den Arm hinauf und kroch in ihre Nase. Sie nieste.
»Gesundheit«, sagte Eusebian und ließ ihre Hand los. »So, jetzt kannst du ihn benutzen. Weißt du, wie es geht?«
Elidar starrte ihn an. »Ihr seid auch ein Zauberer«, entfuhr es ihr.
Der Cubicular starrte ebenso verblüfft zurück. »Ja, natürlich. Was denkst du denn, was ich sonst hier täte?«
»Verzeihung«, murmelte Elidar und kam sich dumm vor.
»Also, weißt du, wie du den Stein benutzen musst? Du musst an den Ort denken, den du suchst. Es funktioniert nur mit Orten, an denen du schon warst, denn du musst ihn dir so deutlich vorstellen, wie du nur kannst. Versuche es.«
Elidar schloss die Hand um den Stein und dachte an das Arbeitszimmer seiner Magnifizenz. Sie holte die dunklen Wände, die vielen Bücher und den Schreibtisch, den schweren Lehnstuhl und den kleinen Hocker zurück in ihr Gedächtnis, den dunkel gemusterten Teppich, den Blick aus dem Fenster …
»Ah«, machte sie erschreckt und ließ beinahe den Stein fallen. Er zuckte in ihrer Hand wie ein kleines Tier.
»Festhalten«, sagte Eusebian. »Mach die Augen zu. Siehst du etwas?«
Elidar senkte gehorsam die Lider. Das Nachbild der Lampe malte rötliche Muster in die Dunkelheit. Die Muster bewegten sich, formten andere Muster. Sie atmete scharf ein. »Das ist der Arkadengang«, sagte sie. »Der Hof und die Tür. Diesen Gang entlang, dort ist die Treppe …« Sie riss die Augen auf, und der Weg zum Arbeitszimmer des Magieroberhaupts verblasste, verschwand aber nicht völlig aus ihrem Blickfeld. »Donner und Blitz«, sagte sie beeindruckt.
Der Cubicular rieb sich vergnügt die Hände. »Behalte den Findestein eine Weile. In einem halben Equil kennst du alle Winkel und alle Wege, dann kannst du ihn mir wiederbringen.«
Elidar bedankte sich überschwänglich bei dem freundlichen Magus, der nur abwinkte. »Geh, mein Junge. Lerne, was zu lernen ist. Und lass dich nicht einschüchtern, die älteren Jungen machen sich einen Spaß daraus, euch frische Novizen zu piesacken. Halte den Kopf oben, und wenn du jemanden zum Ausheulen brauchst, weißt du ja jetzt, wie ich zu finden bin.«
Elidar dankte ihm erneut und schulterte ihren prallvollen Beutel. Der Stein in ihren Fingern prickelte. »Novizenräume«, dachte sie und stellte sich den Gang mit den ausgetretenen Steinplatten und den rauen Wänden vor. Der Stein zuckte, und schwach glühende, rötliche Linien vor ihrem inneren Auge wiesen ihr gehorsam den Weg durch das Labyrinth des Ordenshauses.
14
S ie hatte sich in ihr Zimmerchen zurückgerettet wie eine erschöpfte Maus in ihr Nest. Der Findestein hatte sie unfehlbar dorthin geleitet, und ohne das magische Hilfsmittel wäre sie wahrscheinlich vollkommen orientierungslos durch das riesige Ordenshaus geirrt.
In ihrer Zelle angekommen, ließ sich auf das niedrige, schmale Bett fallen und stieß dabei mit dem Fuß ein Bündel hinunter. Ihr Bündel.
Sie umarmte es wie einen alten Freund und schob es sich unter den Kopf, zu erschöpft, um noch mehr zu tun als einfach zu schlafen. Sie zog sich die dünne Decke über, die gefaltet auf dem Bett gelegen hatte, und schlief augenblicklich ein.
Elidar schreckte aus traumlosem Schlaf, als jemand neben ihrem Bett laut »Aufstehen« rief. Sie wusste nicht sofort, wo sie sich befand. In das kahle Zimmerchen fiel durch ein kleines Fenster hoch oben in der Wand das fahle Licht eines frühen Morgens. Sie sah sich um. Wer hatte sie geweckt? Es war niemand außer ihr im Zimmer.
Elidar schüttelte den Kopf und reckte sich. Nach und nach kehrte die Erinnerung zurück. Sie war im Ordenshaus. Gleich würde sie die anderen Novizen kennen lernen und ihren ersten Unterricht erhalten. Und am Nachmittag stand ihr ein Gespräch mit
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