Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
aufgehört zu trinken.«
»Wann?«
»Vor einer Woche.«
»Alle Alkoholiker, die so lange gelebt haben wie Sie, hören zweimal im Jahr auf zu trinken. Sonst überleben sie es nicht. Aber dann fangen sie wieder von vorn an.«
»Das hat bisher auch für mich gegolten. Ich hab genauso viele Male wieder angefangen, wie ich aufgehört habe. Aber diesmal ist es anders.«
»Das sagen alle, denen ich begegne. Eine Woche trocken sein ist nicht viel. Warum also, sollte ich Ihnen glauben?«
»Ich brauche Geld, damit ich mir die Haare schneiden lassen und neue Kleidung kaufen kann. Sonst geht es nicht.«
Karin Nilsson sah ihn an. Er wich ihrem Blick nicht aus. Mehr als zwei Minuten saßen sie schweigend da.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Sie bekommen etwas fürs Essen, Haareschneiden und für neue Kleidung. Dann kommen Sie morgen Punkt zwölf wieder und zeigen mir, wie Sie aussehen.«
»Das werde ich tun.«
Er bekam mehr, als er erwartet hatte. Es würde für eine anständige Hose, zwei Hemden, eine Herbstjacke und ein Paar Schuhe reichen. Er überlegte, ob Karin Nilsson wirklich berechtigt war, ihm so viel zu geben.
Im ersten Frisiersalon weigerte man sich, ihn einzulassen und erst recht, ihm die Haare zu schneiden.
»Mein Geld ist genauso gut wie Ihres«, sagte Olavi Andersson ruhig und drängte sich hinein. »Ich setze mich jetzt auf den Stuhl da und bleibe sitzen, bis Sie fertig sind.«
Bei Hennes & Mauritz wollte man ihn daran hindern, die Hose anzuprobieren.
»Das macht nichts«, sagte Olavi Andersson. »Nehmen Sie Maß, dann kauf ich sie, ohne sie anzuprobieren. Aber wenn ich bezahlt habe, will ich mich in einer Kabine umziehen. Dann können Sie an der Kabine ein Schild mit der Aufschrift ›Hier kehrte Olavi Andersson aus der Hölle zurück‹ anbringen.«
Es war fast drei Uhr, als er mit allem fertig war. Er ging wieder zum Sozialamt.
»Ich heiße Olavi Andersson«, sagte er. »Bitten Sie Karin Nilsson herzukommen und mich anzuschauen. Sie wird wissen, um was es geht.«
Eine Minute später war Karin Nilsson da. Sie musterte ihn, sagte aber nichts.
»Morgen kann ich nicht kommen«, sagte er. »Ich hab was Dringendes zu erledigen.«
»Brauchen Sie in der nächsten Zeit Unterstützung von unserer Suchthilfestelle?«
»Danke, aber ich komme allein zurecht.«
»Viel Glück. Sie wissen, wo Sie mich finden«, sagte Karin Nilsson und kehrte in ihr Zimmer zurück.
Wieder in seiner Wohnung angekommen, aß er etwas und trank viel Wasser dazu. Als er fertig war, wusch er sofort ab. Danach zog er einen Karton unterm Bett hervor. Er stellte ihn auf den Tisch und begann darin zu wühlen. Ein Silberlöffel, zwei kupferne Kerzenhalter, ein hübsch gehäkeltes Deckchen. Sachen, die seine Mutter einen Monat vor ihrem Tod für ihn zurückgelegt hatte.
Er hielt den Silberlöffel in der Hand, in den sein Name und sein Geburtsdatum eingraviert waren. Er legte den Löffel zurück und zog ein Bündel Kuverts hervor, das in dem Deckchen steckte. Er drehte es um und betrachtete das unterste Kuvert, zog den Brief jedoch nicht heraus. Das war nicht nötig, er hatte ihn schon viele Male gelesen.
Dann schlug er das Bündel wieder in das Deckchen ein und schob den Karton zurück unters Bett.
9
Es war Samstagmorgen, aber für das Ermittlungsteam gab es kein erholsames Wochenende. Da der Mörder mehr als eine Woche Vorsprung hatte und konkrete Hinweise fehlten, hatten sie viel Arbeit vor sich. Außerdem saßen ihnen ständig die Medien im Nacken. Oskar Kärnlund verbrachte die Hälfte seiner Arbeitszeit damit, die Fragen der Journalisten abzuwehren. Mangels Einzelheiten über den Mord hatten Zeitungen, Radio und Fernsehen Wiljam Åkessons Hintergrund ausführlich beleuchtet. Die Abendzeitungen brachten fantasievolle Spekulationen, die anonymen Quellen entsprangen. Einer der Artikel handelte davon, wie rigoros Wiljam Åkesson die sozialen Ausgaben der Gemeinde beschnitten hatte; es folgten Mutmaßungen, dass es sich um einen Racheakt von jemandem handelte, der in diesen Wahlzeiten die Minimierung der existenzerhaltenden Sozialbeiträge anprangern wollte. Ministerpräsident Göran Persson sprach von der steigenden Kriminalität im Land. Mehrere Artikel beschäftigten sich mit Elina Wiik und berichteten, auf welch ungewöhnliche Art sie ihren letzten Mordfall gelöst hatte.
Elina bemerkte, dass sich manchmal Leute auf der Straße nach ihr umdrehten. Das gefiel ihr nicht.
Um elf wollte sich das Team im Präsidium
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