Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
hatte jemand an die Wohnungstür geklopft, und einmal war er im Zweifel gewesen, ob er es sich nur eingebildet hatte. Er hatte nicht geöffnet.
Aber als er am Freitagmorgen erwachte, fühlte er sich ausgeruht. Es war seit seinem großen Dämmerzustand die erste Nacht, die er durchgeschlafen hatte, und das ohne Alpträume. Er stand sofort auf, ging ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Danach nahm er eine Plastiktüte und steckte Bierdosen und Flaschen hinein. Essensreste und Kippen warf er in eine andere Tüte. Er wusch ab und saugte Staub. Dann tat er etwas, das früher nur seine Mutter getan hatte. Er putzte die Fenster.
Plötzlich begann er zu weinen. Die Erinnerung an seine Mutter, die vor drei Monaten gestorben war, überkam ihn.
Schließlich duschte er ein zweites Mal, rasierte sich und zog die sauberste Kleidung an, die er hatte. Die Wahl fiel ihm nicht schwer, da er nur zwei Hosen und drei Hemden besaß.
Er musterte sich im Flurspiegel.
»Ein Wunder, dass du noch lebst, Olavi«, sagte er laut zu seinem Spiegelbild.
Er setzte sich aufs Bett und biss in die Fingerknöchel seiner linken Hand.
Es ist wie üblich, dachte er. Aktivitätsparanoia. Ich bin nicht gesund, nur weil ich mich gut fühle. Aber diesmal soll es anders laufen. Ich bin den schweren Weg gegangen und habe es geschafft. Diesmal geht es um mehr als um mein eigenes jämmerliches Leben.
Er reckte sich nach seiner zweiten, ziemlich schmutzigen Hose und angelte seine Geldbörse aus der Gesäßtasche. Sie enthielt nur ein paar Zettel. Er grub in den anderen Taschen und fand zwei Ein-Kronen-Münzen.
Jetzt ist es Zeit hinauszugehen, dachte er.
Er band seine Schnürsenkel. Schon fünfzig Meter von der Haustür entfernt traf er den Ersten.
»Olli, wo hast du gesteckt? Mann, ich bin diese Woche mindestens zwei Mal bei dir oben gewesen. Komm, wir gehen einen trinken. Du hast doch was im Haus, ich hab grad nichts mehr.«
»Ich hab alles weggekippt«, erwiderte Olavi.
»Du machst wohl Witze, du Spaßvogel. Fast muss ich lachen. Na, komm schon.«
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt hab? Ich hatte noch zwei Liter im Kanister vom Chemiker. Die hab ich weggekippt. Du musst schon durch den Abfluss schwimmen, wenn du sie haben willst, aber dann musst du dich beeilen.«
»War das Zeug nicht in Ordnung oder was?«
»Es war genauso sauber wie immer. Deswegen hab ich es weggekippt. Ich muss jetzt gehen. Komm nie wieder zu mir.«
Olavi Andersson wollte gehen, spürte aber sofort darauf eine Faust im Nacken.
»Glaub bloß nicht, dass du so leicht davonkommst, du Scheißkerl. Weißt du, was du mir schuldig bist?«
Er ging weiter, bekam jedoch einen weiteren Schlag, diesmal in den Rücken. Langsam drehte er sich um, machte einen Schritt nach vorn und sah seinem Gegner in die Augen.
»Okay. Dann klären wir das jetzt. Du kriegst einen Freistoß. Wenn ich dann noch aufrecht stehen kann, krieg ich einen Freistoß. Wenn du die Bedingungen ablehnst, wirst du dich für alle Zeit von mir fern halten.«
Der Mann starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Du bist ja total durchgeknallt! Geh zum Teufel.«
Er machte mehrere Schritte rückwärts, bevor er sich umdrehte und endgültig verschwand. Olavi Andersson folgte ihm mit den Augen, um sicher zu sein, dass er nicht noch einen Schlag von hinten bekam. Schließlich setzte er sich in Richtung Stadt in Bewegung. Er erwog, den Bus zu nehmen, doch dann fiel ihm ein, dass er mit seinem Geld gerade mal eine Haltestelle weit fahren konnte.
Beim Sozialamt waren fünf Hilfsbedürftige vor ihm. Als er an die Reihe kam, wurde er in ein Zimmer im Erdgeschoss verwiesen, an eine Frau, die er auf vierzig schätzte.
»Wir hatten wohl noch nicht miteinander zu tun«, sagte sie. »Ich heiße Karin Nilsson und bin neu im Büro.«
»Olavi Andersson. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Sonst wären Sie wohl nicht gekommen. Geht es um Geld für Essen?«
»Mehr als das«, sagte Olavi Andersson. »Aber es stimmt, im Augenblick brauche ich auch Geld für Essen.«
Karin Nilsson setzte sich hinter den Schreibtisch und schob die Papiere beiseite, die darauf lagen.
»Mehr als das«, sagte sie. »Mehr Geld oder was meinen Sie damit?«
»Haben Sie ein wenig Zeit?«
»Ich habe zehn Minuten für jeden Klienten. Aber nach Ihnen habe ich Pause und ich bin hungrig. Sie müssen mir also etwas Wichtiges mitzuteilen haben, wenn Sie mich zum Bleiben bewegen wollen.«
»Ich bin Alkoholiker.«
»Das sehe ich.«
»Aber ich habe
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