Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
bei denen ich dir empfohlen hätte, mehr Ruhe zu bewahren. Erinnerst du dich, wie du letztes Jahr im ›Klippan‹ diesen Blödmann zu Boden geworfen hast?«
»Das habe ich getan, weil ich Polizistin bin und den Streit beenden wollte.«
»Und weil du wütend warst, wenn du ehrlich bist. Du hast manchmal Schwierigkeiten mit der Selbstbeherrschung, nicht wahr?«
Elina wiegte ihren Kopf hin und her, sagte aber nichts.
»Einerlei«, schloss Susanne, »jetzt müssen wir praktisch denken. Erst mal muss ich dir sagen, dass du riskierst, wegen Körperverletzung verurteilt zu werden. Nach deiner Beschreibung klingt es so, als hättest du mehr Gewalt angewandt, als es die Situation erforderte. Eine Geldstrafe wirst du verkraften, aber schlimmer sind die Konsequenzen für deine Karriere.«
»Ich weiß, schlimmstenfalls werde ich gefeuert.«
»Ich glaube nicht, dass es so weit kommt. Du bist ja nicht vorbestraft. Kein ganz hoffnungsloser Fall also. Aber wir wollen nichts riskieren. Was für dich spricht, ist ganz klar, dass du provoziert wurdest, da dieses Paar dich und die anderen Gäste störte und der Mann dir den Stinkefinger gezeigt hat. Und er hat dich angespuckt. Wenn das keine Beleidigung ist! Aber gegen dich spricht, dass du als Polizistin dazu ausgebildet bist, diese Art Provokationen zu ertragen. Außerdem hättest du dich aus der Sache heraushalten und es dem Restaurantpersonal überlassen sollen, die Situation zu klären.«
»Ich weiß, es war wirklich bescheuert. Aber Leute, die meinen, sie könnten sich ohne Rücksicht auf andere skandalös benehmen, machen mich wild.«
»Hitzkopf! Hab ich’s nicht gesagt? Aber die Frage ist, ob er dich bedroht hat. Dann würde es um Selbstverteidigung gehen.«
Elina schüttelte den Kopf.
»Er fuchtelte mit der Hand vor deinem Gesicht herum«, argumentierte Susanne. »Man könnte es so auffassen, dass er dich schlagen wollte. Du hast die Bedrohung abgewehrt und dabei wurde ihm unglücklicherweise ein Finger gebrochen.«
»Nein«, sagte Elina. »Provoziert wurde ich, aber bedroht fühlte ich mich nicht.«
»Ein Mann, der eine aggressive Handbewegung gegen eine Frau macht – das kann man doch wohl als Bedrohung interpretieren, wenn du richtig nachdenkst?«
»Ich habe es getan, weil ich wütend war, nicht erschrocken. Leider, Susanne. Ich bin wohl keine besonders kooperative Klientin.«
»Natürlich sollst du nicht lügen, aber du konntest doch nicht ahnen, was für Absichten er hatte, oder? Seinen Finger zu packen, war deine Art, dich gegen seinen Angriff zu schützen. Das stimmt doch wohl auf jeden Fall?«
Elina schlug die Fingerknöchel gegeneinander und schwieg eine Weile.
»Vielleicht«, sagte sie schließlich. »Aber weißt du, in meinem Job begegne ich so vielen Menschen, die stets anderen die Schuld geben. Selten steht jemand für das gerade, was er getan hat. Und da ich mich nicht bedroht fühlte, hatte ich tatsächlich keinen Grund, diesem Kerl den Finger zu brechen.«
»Mit dieser Aussage gehst du das Risiko ein, verurteilt zu werden, auf jeden Fall erhöht es sich! Eine Bedrohung kann man doch sehr unterschiedlich interpretieren. Bei einem Prozess ist das entscheidend. Denk drüber nach!«
»Werde ich«, versprach Elina. »Zeit, das Thema zu wechseln.«
»Dann also Prost«, sagte Susanne und hob ihr Weinglas. »Und jetzt erzähl mir, wie es um die Ermittlungen im Fall Åkesson steht. Ich bin wahnsinnig neugierig …«
14
Es dauerte zwei Tage, ehe der Anruf kam. Am Freitagnachmittag um zwei Uhr rief Kriminalinspektor Gerhard Tallberg John Rosén an. Sie arbeiteten seit über zehn Jahren zusammen.
Anschließend ging John Rosén sofort zu Oskar Kärnlund, um zu berichten, was er erfahren hatte.
»Unglaublich«, sagte Kärnlund. »Vollkommen unglaublich und inakzeptabel. Die von der Reichskripo müssen die Berichte doch bekommen haben. Trotzdem dauert es so lange, bis ein normaler Ermittler die Sache entdeckt. Weitere zwei Tage verloren. Diesmal werde ich verdammt noch mal dafür sorgen, dass jemand zur Verantwortung gezogen wird. Da muss sich doch mal was ändern.«
Er zeigte auf John Rosén.
»Nimm Elina mit und fahr sofort hin. Jetzt, auf der Stelle. Ich werde Tallbergs Chef informieren, dass ihr unterwegs seid. Du und Tallberg müsst euch über die Arbeitsverteilung einigen. Für dich und Wiik bedeutet das Überstunden am Wochenende. Bleibt so lange, wie es nötig ist.«
John Rosén nickte und ging in Elinas Zimmer.
»Hoffentlich hast du am
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