Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
ein Elchgemälde erinnern und wusste noch weniger etwas von seinem Besitzer.
Um fünf Minuten nach fünf bog er vom Bodenvägen nach Södra Sunderbyn ein. Er suchte sich den Weg zum Sorteringsvägen und hielt Ausschau nach einem braunen, zweistöckigen Haus aus Holz mit einem Wohnwagen auf dem Grundstück. Auf fast allen Grundstücken standen Wohnwagen; es war also sinnlos, den Wohnwagen als Anhaltspunkt zu nehmen.
Dennoch fand er bald das braune Haus. Mit Wohnwagen, Anhänger und einem Schneescooter auf dem Grundstück.
»Kommen Sie herein, kommen Sie herein.«
Die Frau hatte rosige Wangen und trug eine Strickjacke.
»Ich bin Solveig, Sigurd hat Sie also zu mir geschickt?«
»Ja. Sie sind Norwegerin?«
»Bin den Akzent nie losgeworden. Will ich auch gar nicht. Obwohl ich schon fünfundvierzig Jahre beim süßen Bruder lebe.«
»Süßer Bruder?«
»Schweden. Wir haben die Schweden süße Brüder genannt.«
»Ich will Sie nicht lange stören. Ich möchte nur, dass Sie sich ein paar Fotos anschauen.«
»Nicht im Flur. Wir setzen uns in die Küche.«
Der Duft von frisch Gebackenem stieg Rosén in die Nase, der am Küchentisch Platz nahm.
»Sie möchten doch sicher mal probieren?«
»Ja, danke gern.«
Er wollte sich nach seiner Aktenmappe bücken, hielt jedoch in der Bewegung inne.
»Wieso wohnen Sie in Schweden?«
»Natürlich bin ich wegen eines Mannes gekommen. Dann hab ich einen guten Job gekriegt. Beim Pflegedienst. Kein Luxus, aber mir hat es gefallen. Und außerdem hatte ich die Politik. Ich sitze immer noch im Sozialausschuss.«
»Für die Sozialdemokraten, nehme ich an.«
»Ja.«
»Sind Sie immer Sozialdemokratin gewesen?«
»Ja oder eigentlich nein. Ich war es von Anfang an, sozusagen. Von Geburt an und aus Gewohnheit. Aber vorübergehend war ich bei den Kommunisten, Anfang der sechziger Jahre. Ich bin aber schnell wieder zurückgekehrt.«
»Ich weiß«, sagte John Rosén. »Sigurd hat es erwähnt. Es war nach dieser Debatte 1962.«
»Ich war radikal und fand, dass meine Partei den Schwanz einzog. Aber bei den Kommunisten hab ich es nicht lange ausgehalten. Zu sowjetfreundlich für meinen Geschmack.«
Sie stellte einen Teller mit dampfenden Zimtwecken auf den Tisch.
»Wo ist das Bild, das ich mir anschauen soll?«
Rosén öffnete die Aktenmappe und legte das Foto auf den Küchentisch.
»Das Gemälde«, sagte er, »erkennen Sie es?«
»Warten Sie mal«, sagte sie und verließ die Küche. Sie war schnell wieder zurück.
»Dafür brauche ich meine Brille.«
Sie nahm das Foto in beide Hände und führte es näher ans Gesicht.
»Ja«, sagte sie. »Das hab ich schon mal gesehen. Bei jemandem zu Hause. Ich erinnere mich, dass es mir gefiel.«
John Rosén legte die Arme auf den Küchentisch und beugte sich vor.
»Bei wem?«
»Schon schwieriger. Ich bin in meinem Leben bei so vielen Menschen zu Hause gewesen.«
Sie senkte den Kopf und sah Rosén über den Rand der Brille an.
»Pflegedienst, wie gesagt.«
»Das sind ein sozialdemokratischer Politiker und ein Unternehmensleiter. Ich bezweifle, dass Sie das Bild bei Ihrem Dienst gesehen haben.«
»Ach? Die beiden kenne ich nicht. Wann wurde das Foto gemacht?«
»Wir nehmen an, dass es im April oder Mai ±962 war. Jedenfalls irgendwann im Frühling.«
»Frühling 1962. Da hab ich mein kleines Gastspiel bei den Kommunisten gegeben. Ich bin fast ein Jahr geblieben. Bis nach der Kubakrise, falls Sie sich daran erinnern.«
»Kaum«, sagte John Rosén. »Aber ich habe davon gelesen.«
Sie tippte mit dem Finger auf das Gemälde.
»Das hängt bei keinem Sozialdemokraten, davon bin ich überzeugt. Sonst wäre es mir öfter begegnet. Auch würde ich mich genau daran erinnern. Ich hab ein gutes Gedächtnis. Es könnte also bei einem meiner vorübergehenden roten Genossen gehangen haben. Bei jemandem, den ich damals besucht habe.«
Plötzlich schlug sie leicht mit der Faust auf den Küchentisch.
»Ich glaube … das Bild habe ich bei jemandem gesehen, bei dem wir ein Treffen hatten.«
»Bei einem der Kommunisten?«
»Na klar. Aber wie hat er geheißen? Ich war nicht sehr lange dabei, wie gesagt. Es war keiner aus der vordersten Reihe, denen bin ich erst später in der Politik begegnet. Irgendein gewöhnliches Mitglied, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ich erinnere mich nicht an den Namen, tut mir Leid.«
»Versuchen Sie es.«
»Ich gebe mir ja Mühe. Es muss ein ganz gewöhnlicher Name sein, sonst würde er mir vermutlich
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