Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
besondere Taktik bei der Vernehmung verfolgen sollte. Sie hatte noch nie auf der anderen Seite des Tisches gesessen.
»Hallo«, sagte er und setzte sich wieder, nachdem er auf den Besucherstuhl gezeigt hatte. »Ich heiße Sören Blomqvist und bin Inspektor bei der Polizei in Uppsala. Bevor wir anfangen, werde ich Ihnen die Prozedur interner Ermittlungen erklären.«
»Danke, für mich ist es das erste Mal.«
»Ich weiß.« Sören Blomqvist lächelte.
Er hat mich also bereits überprüft, dachte Elina.
»Es ist nichts Besonderes«, sagte er. »Wie Sie vielleicht wissen, hat der Staatsanwalt eine Voruntersuchung beschlossen und deshalb bin ich hier. Ich werde die Ermittlung leiten und lasse dann den Staatsanwalt entscheiden, ob es zur Anklage kommt. Außerdem gehen meine Ermittlungsergebnisse an den Personalausschuss der Polizei, der entscheidet, ob eine Verurteilung Ihre Entlassung zur Folge haben wird. In solchen Fällen mildert das Amtsgericht das Strafmaß im Allgemeinen ab, damit Polizisten nicht doppelt bestraft werden. Ich sage Ihnen das natürlich, ohne eine genaue Vorstellung von Ihrem besonderen Fall zu haben.«
Elina spürte, dass ihr Magen dieser letzten Versicherung Inspektor Blomqvists nicht traute.
»Jetzt erzählen Sie bitte, was passiert ist, und zwar so genau wie möglich.«
Elina berichtete den ganzen Ereignisablauf von Anfang bis Ende, inklusive des Wortwechsels der Beteiligten, soweit sie sich daran erinnerte. Als sie fertig war, kam die Frage, vor der sie sich am meisten fürchtete.
»Wie haben Sie es empfunden, als er diese eine Geste machte?«
»Als eine Art, mir zu vermitteln, dass ich mich nicht in seine Angelegenheiten einmischen solle«, antwortete Elina rasch.
»Ja, das ist offensichtlich. Aber ich möchte wissen, wie Sie seine Absicht interpretierten. Was glaubten Sie, würde er tun?«
Ich kann mich nicht drücken, dachte Elina und schwieg eine Weile.
»Ich hatte wohl keine Zeit nachzudenken«, antwortete sie schließlich leise.
»Eine instinktive Reaktion. Meinen Sie das?«
»Ja, durchdacht war sie nicht.«
»Und warum haben Sie so reagiert, wie Sie es getan haben?«
»Wie meinen Sie das?«
»Man kann sich ja auch andere Reaktionen vorstellen. Zum Beispiel, sich zurückzuziehen. Im Klartext ausgedrückt: Haben Sie Gewalt angewandt, um sich zu verteidigen, oder weil Ihnen das Verhalten …«
Sören Blomqvist schaute in seine Papiere.
»… von Kurt Jörgen Hansson nicht gefiel?«
»Ich … Darauf kann ich nicht eindeutig antworten. Wie gesagt, ich habe instinktiv reagiert, als er auf mich losging. Aber ich gebe zu, dass mich das Auftreten des Paares irritierte. Das kann mich schon beeinflusst haben.«
»Fühlten Sie sich bedroht?«
Elina schwieg lange.
»Ich kann mich nicht erinnern«, antwortete sie schließlich.
Die Vernehmung wurde noch weitere zwanzig Minuten fortgesetzt. Danach ging Elina in ihr Zimmer. Sie versuchte sich einzureden, dass sie ehrlich auf die Fragen geantwortet hatte.
Als sie zehn Minuten vor sieben zum Konzertsaal kam, war der Parkplatz voll. Elina musste umdrehen und parkte schließlich in einer Straße nahe beim Kristian borgsbad.
Sie bezahlte sechzig Kronen Eintritt und setzte sich so nah wie möglich an die Bühne. Die Leute um sie herum waren gut gekleidet, aber nicht herausgeputzt. Menschen jeden Alters. Plötzlich empfand sie eine Art Zärtlichkeit für diese Menschenmenge und wurde ganz sentimental.
Jeder Chor trat mit vier Liedern auf und alle hatten ihren eigenen Dirigenten. Elina staunte über die vielen Chorsänger, die es in Västerås gab. Und über ihr Können. Mehrere Male erwischte sie sich dabei, wie sie mitsummte.
Die »Singvögel« waren die Vorletzten und begannen mit einem Stück von Carl Orff. Der Eindruck war gewaltig. Der Chor bestand aus zehn Männern und vierzehn Frauen. Alle in den mittleren Jahren oder älter. Wiljam Åkesson hatte Bass gesungen. Elina verstand nicht genug vom Chorsingen, aber sie meinte, eine Bassstimme herauszuhören.
Niemand ist unersetzlich, dachte sie. Jeder kann ersetzt werden, wenn es die Umstände erfordern.
Sie sah in die Gesichter der Chormitglieder. Sie kannte kein Einziges und fragte sich, warum sie überhaupt gekommen war.
Um etwas über Åkessons Leben außerhalb der Politik zu erfahren, dachte sie und war zufrieden mit dieser Erklärung.
Nach den »Singvögeln« wurde das Konzert mit Gospelliedern vom Chor des Gymnasiums Carlforsska beendet. Das Publikum klatschte
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