Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
begeistert mit und jubelte, als der letzte Ton des Abends verklang. Nachdem der Applaus verebbt war, erhoben sich die Leute und schoben sich in einer Schlange auf den Ausgang zu. Elina ging langsam durch die Bankreihen. Draußen im Gang sah sie ihn. Er stand nur fünf Meter von ihr entfernt, dazwischen waren ungefähr ein Dutzend Menschen. Elina überlegte, ob er sie gesehen hatte, glaubte es aber nicht.
Warum ist Olavi Andersson hier?, grübelte sie.
Sie versuchte zu erkennen, ob er in Begleitung war, doch das Gedränge war zu groß. Rasch entschied sie, Abstand zu halten, um möglichst nicht entdeckt zu werden. Olavi Andersson würde an diesem Abend einen Schatten haben, wenn er den Konzertsaal verließ, wohin ihn seine Füße auch trugen.
Als sie auf die Straße kamen, sah Elina aus fünfundzwanzig Metern Entfernung, dass er eine blonde Frau bei sich hatte, etwa um die fünfzig, vielleicht auch etwas jünger. Das Paar ging die Vallgatan hinauf. Es ist der Weg zu Olavi, dachte Elina. Und sie erinnerte sich an die schäbige Wohnung in der Emausgatan, die kaum für ein romantisches Rendezvous geeignet war.
Wie erwartet bogen sie links in die Skolgatan ein und dann nach rechts in die Mästargatan. Elina folgte ihnen in angemessenem Abstand und machte sich keine Sorgen, entdeckt zu werden, da Olavi Andersson ins Gespräch mit der Frau vertieft war. Aber statt nach links in die Kristiansborgsallén einzubiegen, die der kürzeste Weg zu Olavis Wohnung war, gingen sie auf der Mästargatan geradeaus weiter.
Elina folgte ihnen und versuchte aus ihren Gesten die Art ihrer Beziehung zu erraten. Wie verhielten sie sich zueinander? Plötzlich blieben sie stehen. Elina zog sich reflexartig unter einen Baum zurück, obwohl sich keiner von beiden zu ihr umdrehte. Dann stiegen sie die Treppe zu einem Haus hinauf. Das dritte Haus rechts nach der Kreuzung, dachte Elina. Sie suchte nach Stift und Papier, fand jedoch nichts zum Schreiben in ihrer Handtasche.
»Dunkelgrünes Holzhaus rechts«, sagte sie leise vor sich hin.
Sie drehte um und holte ihr Auto. Dann fuhr sie langsam an dem Haus vorbei und hielt nach der Nummer Ausschau. Die Lichter brannten, aber sie sah keine Bewegung hinter den Fenstern.
Ein energischer Druck auf das Handy und die Diensttuende in der Leitzentrale meldete sich. Elina bat sie herauszufinden, wer in dem Haus in der Mästargatan wohnte. Sie bekam rasch eine Antwort.
»Zwei Personen, na ja, eigentlich eine. Jan Milev wurde abgemeldet, entweder gestorben oder ins Ausland verzogen. Und dann Anna Mileva. Möchtest du die Personennummer haben?«
»Ja, bitte«, sagte Elina. »Warte, ich muss nur einen Stift im Handschuhfach suchen.«
»460501-9020.«
»Also sechsundfünfzig Jahre alt«, sagte Elina, bevor sie sich für die Hilfe bedankte und das Handy ausschaltete.
Sie fragte sich, wer die Frau war. »Der Schnaps war mein einziger Freund. Jetzt ist es leer um mich.« Das hatte er gesagt. Offenbar stimmte es nicht ganz.
Sie verfluchte sich erneut, dass sie das Gespräch mit Olavi Andersson nicht auf Band aufgenommen hatte. Und ärgerte sich, dass sie bei der Arbeit einen Kater gehabt hatte. Doch jetzt war es zu spät. Sie strengte sich an und versuchte die Erinnerung herbeizuzwingen. Es war, als würde man einen Muskel anspannen. Da war eine Formulierung gewesen, die wichtig war. Ein Widerspruch oder vielleicht eine verborgene Botschaft. Ein Wissen, das er nicht hätte haben können.
Oder hatte sie nur die Sache mit dem Singvogel verwirrt?
27
John Rosén kam um fünf nach acht zur Arbeit. Ein wenig spät für seine Verhältnisse, aber er entschuldigte sich damit, dass er am Vorabend erst sehr spät nach Hause gekommen war. Das Flugzeug aus Luleå hatte Verspätung gehabt und er hatte morgens noch einiges erledigen müssen.
»Du bist jetzt der Chef«, hatte sie geantwortet. »Von mir aus kannst du kommen und gehen, wann du willst.«
Die Morgenbesprechung des Dezernats um acht ließen sie ausfallen. Elina hatte bemerkt, dass Kärnlund ihre regelmäßige Abwesenheit bei den Besprechungen nicht gefiel, aber noch hatte er nichts gesagt. Sie ahnte, dass es nicht in seinem Sinn war, wenn sich die Sonderkommission vom Rest der Mannschaft absonderte, was zu Spannungen und Eifersucht führen konnte.
Aber an diesem Morgen hatten sie triftige Gründe, die sie an der Teilnahme hinderten. Rosén war mehrere Tage abwesend gewesen, viel war passiert, und sie mussten klären, was sie als Nächstes tun
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