Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
versprechen. Worum geht es denn?«
»Um eine Einzelheit, für die ich nach einer Erklärung suche.«
»Genau wie Sie muss ich Einzelheiten in einen größeren Zusammenhang einordnen. Die Möglichkeit oder das Risiko, dass mir ein einziges Detail etwas nützt, ist also nicht sonderlich groß. Aber ich verspreche Ihnen nichts. Wenn Sie mit mir sprechen, dann sprechen Sie auch immer mit einer Journalistin, die ihre Arbeit macht.«
»Fair enough. Einige Monate nachdem Jamal die Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, stellte er bei der Bank einen Kreditantrag über 70000 Kronen. Wissen Sie vielleicht, warum?«
»Nein. Keine Ahnung. Vielleicht wollte er zu Ikea?«
»Diesen Gedanken hatten wir auch. Aber wir sind uns nicht sicher. Als er Sie anrief, um Sie um Hilfe zu bitten, glauben Sie, dass es da um Geld gegangen sein könnte?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe über ihn geschrieben, aber anschließend hatten wir keinen Kontakt mehr. Erst im Frühjahr wieder. Ich glaube, dass er mich anrief, weil ich Journalistin bin. Weil er wollte, dass ich über etwas schreibe, womit er selbst nicht fertig wurde. Mich rufen oft Leute an, weil sie sich der Willkür der Behörden ausgesetzt sehen. Wenn es eine Story hergibt, dann schreibe ich darüber. Sonst rate ich ihnen, sich einen Anwalt zu nehmen oder sich an die Gewerkschaft zu wenden oder was sich sonst noch anbietet.«
Elina trank ihren Kaffee. Sie schwiegen.
»Können Sie mir etwas über die Ermittlung erzählen?«, fragte Agnes Khaled.
»Nein. Leider nicht. Ich kann nur sagen, dass sie sich dahinschleppt. Sie verpassen also nichts. Die Konkurrenz erfährt auch nicht mehr.«
»Schade.«
»Ich habe allerdings noch eine Frage«, meinte Elina. »Wenn ein Flüchtling einmal eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, besteht für ihn dann noch Veranlassung, den Kontakt zur Migrationsbehörde aufrechtzuerhalten?«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich wüsste nicht, weshalb. Warum fragen Sie?«
»Jamal hat in den letzten Monaten mehrmals bei der Migrationsbehörde angerufen, bei einem gewissen Yngve Carlström, der in Stockholm tätig ist.«
Die Hand, mit der Agnes Khaled ihre Tasse hielt, verkrampfte sich. Sie sagte nichts. Ihre Haltung sprach jedoch Bände.
»Kennen Sie ihn?«, fragte sie.
»Ich habe den Namen schon mal gehört.«
»Wenn ich weiterfrage, dann ist der Informantenschutz nicht mehr gewährleistet, nicht wahr?«
»Ich habe nicht vor, mich darüber zu äußern, wer meine Informanten sind. Ich schlage Ihnen also noch einmal vor, dieses Thema auf sich beruhen zu lassen.«
Elina sah Agnes Khaled hinterher, nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten. Sie ertappte sich dabei, dass sie sie bewunderte. Elina fühlte sich immer Frauen unterlegen, die auf dem Weg durchs Leben einem inneren Kompass zu folgen schienen. Sie selbst wusste nicht, was von ihrem eigenen Verhalten angelernt und was wirklich sie selbst war.
Wieder im Präsidium nahm Elina auf ihrem Schreibtischstuhl Platz, rollte näher an den Tisch heran und schaltete den Computer ein. Sie musste nachdenken. Mit den Fingern auf den Tasten versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen und in Worte zu kleiden.
Jamal versucht, Geld zu leihen. Hilfesuchend wendet er sich mehrere Jahre später wegen eines Verwandten in Schwierigkeiten an Agnes Khaled, Diese verweist ihn an einen Sachbearbeiter (Yngve Carlström?) bei der Migrationsbehörde. Carlström (?) ist die Person, die der Länstidningen ein internes Dokument zugespielt hat. Dieses Dokument bewirkt, dass sich Agnes K. für den Fall interessiert. Die Aufmerksamkeit der Medien führt dazu, dass Jamal bleiben darf.
Elina lehnte sich zurück. Ihre Gedanken schweiften ab: Agnes Khaled hatte die Interessen von sechs Flüchtlingen vertreten, vier davon erfolgreich. In allen Fällen waren der Migrationsbehörde Fehler unterlaufen. War Yngve Carlström ein Informant, auf den sie immer noch zurückgriff? Ein Mann mit einem Ordnungsfimmel, der gewissenhaft die kleinliche und oft stümperhafte Bearbeitung von Asylanträgen seines Arbeitgebers korrigierte?
Elina erwog, alle Artikel zu bestellen, die Agnes Khaled – über die sechs Fälle in der Länstidningen geschrieben hatte. Sie wollte herausfinden, ob ein Zusammenhang bestand. Von einer solchen Anfrage würde Agnes Khaled jedoch zweifellos erfahren, und Elina hatte ihren Informationsquellen für die nächste Zeit genug hinterhergeschnüffelt.
Wie die ganze Sache auch nur theoretisch in
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