Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
zusammenarbeiten. Die beiden aus Stockholm angereisten Kriminalinspektoren werden sich ebenfalls beteiligen, aber vermutlich mehr als Aufpasser.«
»Und wir?«
»Du, Enquist, Svalberg und ich machen mit allem anderen weiter, also mit allem, was auf einen normalen Doppelmord schließen lässt, insofern man überhaupt von ›normal‹ sprechen kann, wenn es um den Mord an zwei jungen Menschen geht.«
»Also zwei unabhängige Ermittlungen? Das ist doch schwachsinnig! Wie soll das denn gehen?«
John Rosén lächelte und schüttelte den Kopf.
»Was glaubst du?«, meinte er.
»Sie bekommen von uns alle Informationen, und wir bekommen keine von ihnen.«
Roséns Kopfschütteln ging in ein Nicken über.
»Verdammt!«, rief Elina. »Von mir bekommen die keine Informationen.«
»Leider lässt sich das nicht ändern. Wir müssen. Im Prinzip ist Jönsson bereits unser Chef. Legen wir uns quer, dann können wir uns aus der Mordgruppe verabschieden.«
»Findest du dich damit ab?«
»Ja. Schließlich geht es nur um diese eine Ermittlung. Nächstes Mal ist alles wie gehabt. Davon gehe ich aus.«
Elina knirschte mit den Zähnen. Sie hätte gerne jemandem vors Schienbein getreten. Am liebsten Jönsson.
»Wolltest du eigentlich vorhin zu mir?«, fragte Rosén.
»Bitte?«
»Vorhin auf dem Gang. Du bist auf meine Tür zugegangen.«
»Ach ja, richtig, das stimmt. Ich glaube, ich bin ein Stück weitergekommen.«
»Gut. Dann wollen wir uns auf die Arbeit konzentrieren. Lass hören.«
»Ein Verwandter Jamals ist verschwunden. Ein Cousin namens Sayed Al-Sharif. Offenbar war das bereits im Winter 2001. Sayed wollte mit Hilfe von Menschenschmugglern nach Schweden kommen. Zeitlich fällt das auch mit Jamals Versuch zusammen, einen Kredit von 70000 Kronen aufzunehmen.«
»Du glaubst, dass er mit diesem Kredit die Schmuggelkosten begleichen wollte?«
»Ja, aber das ist nur eine Vermutung. Jamal hat wegen dieses Verwandten diverse Telefongespräche geführt, erst mit Agnes Khaled und dann mit dem Roten Kreuz. Vermutlich hat er sich auch deswegen bei dieser Person von der Migrationsbehörde gemeldet, aber das habe ich noch nicht überprüft. Außerdem könnte der Anruf in Moskau damit zusammenhängen, weil Jamal das letzte Lebenszeichen von Sayed aus Moskau erhalten hatte.«
»Was ist mit dieser Person auf der Liste, die einen ausländischen Namen trägt?«
»Er heißt Ahmed Qourir. Könnte ebenfalls damit zu tun haben, aber das habe ich noch nicht überprüft.«
»Weißt du, warum er erst jetzt Nachforschungen angestellt hat? Dieser Cousin Sayed verschwand schließlich bereits vor zweieinhalb Jahren.«
»Nein. Aber wir haben schließlich nur eine Liste seiner Anrufe der letzten vier Monate. Er könnte auch schon vorher Nachforschungen angestellt haben.«
»Und warum soll das etwas mit den Morden zu tun haben?«
»Keine Ahnung. Aber irgendetwas scheint doch in Jamals Leben in Bewegung geraten zu sein. Und etwas anderes haben Svalberg und ich nicht entdecken können. Und es geht um Menschenschmuggel, Geld, einen Verschwundenen, da liegt der Gedanke an Gewalt doch recht nahe.«
»Ich glaube mehr an einen Eifersuchtsmord oder an einen fanatischen Rassisten, ohne das allerdings beweisen zu können, das muss ich zugeben. Ich glaube, wir vier … oder fünf, wenn wir Niklasson behalten dürfen, müssen jetzt in der Anfangsphase unterschiedliche Richtungen einschlagen. Verfolge du mal deine Spur. Da ist schließlich noch einiges zu tun, nicht wahr?«
»Ja. Als Erstes möchte ich die übrigen Personen auf der Liste erreichen.«
Nadia hatte den Abend frei. Sie liebte Dienstage. Sie hatte abends frei, und ihre Tochter hatte Ballettstunde. Nadia würde zuschauen, und vor Glück und Stolz würde ihr das Herz aufgehen.
Es war Viertel vor fünf, als Elina anrief. Das Telefon klingelte. Nadia war gerade dabei, die frisch gewaschenen Kleider herauszusuchen, und Nina machte sich fertig.
»Poka, Elina! Meine liebe Freundin, wie geht es dir? Ich will gerade Nina zur Ballettstunde bringen. Kannst du nicht mitkommen und zuschauen? Das ist so wunderbar!«
Elina ging zu Fuß nach Herrgärdet. Die Bäume begannen ihr Laub zu verlieren, und der Geruch von Herbst lag in der warmen Luft. Klaviermusik klang aus den Räumen der Ballettschule nach draußen. Sie folgte der Musik eine Treppe hinauf. An einer Stange standen acht Mädchen und ein Junge auf Zehenspitzen, und in der Ecke spielte eine Frau mit langen grauen Haaren auf einem Flügel.
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