Elixir
würde ich nicht rauskommen, ohne ihr etwas zu erzählen. Und so sehr ich die Geschichte um diesen Mann auch für mich behalten wollte, sprudelte ich innerlich fast über und ein Teil von mir wollte dringend meiner besten Freundin alles anvertrauen. Allerdings war ich mir nicht sicher, wie ich ihr am besten etwas über jemanden anvertrauen sollte, der nur in meinen Träumen existierte.
Ich holte tief Luft. Augen zu und durch! Ich erzählte ihr alles über meine Träume, behielt jedoch für mich, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Ich sagte nur, dass er irgendein Typ war, der mir mal auf einem Foto ins Auge gefallen war.
Es tat gut, über ihn zu reden. Es brach regelrecht aus mir heraus. Als ich geendet hatte, sah Rayna mich nur stumm an.
» Du weißt, was ich jetzt sagen werde, oder?«, fragte sie.
» Ich brauche einen Freund.«
» Du brauchst wirklich einen Freund.«
» Ich brauche keinen Freund.«
Rayna hob die Augenbrauen.
» Ich brauche keinen Freund«, stellte ich klar. » Ich sage nicht, dass ich im Prinzip keinen will, aber ich will keinen, nur damit ich einen habe. Es muss der Richtige sein.«
» Und der Fantasie-Typ aus deinen Träumen ist der Richtige?«
Ja! Genau!, wollte ich schreien… aber das hätte verrückt geklungen. Dennoch fühlte es sich hundertprozentig so an. Der Mann aus meinen Träumen war der Richtige für mich. Er bewies es mir jede Nacht.
Klar machte er das. Egal, wie real mir die Träume auch erschienen, es waren Träume. Was wiederum bedeutete, dass der Mann mein Fantasieprodukt war. Natürlich kannte er mich besser als jeder andere! Warum sollte ich ihn nicht perfekt für mich machen? Das Schwertlilien-Tattoo war ein besonders nettes Detail, das ihn mit meinem Vater verband und zeigte, wie schrecklich ich Dad vermisste. Freud hätte seine wahre Freude an mir gehabt.
Doch wie offensichtlich das alles auch war– es änderte nichts an meinen Gefühlen. Ich hielt den Mund und ließ Rayna in dem Glauben, sie hätte die Diskussion gewonnen. Ich sagte ihr sogar, dass sie ein Date für mich arrangieren durfte, wenn ich aus Rio zurückkam, obwohl ich wusste, dass es niemand mit dem Mann, den ich mir selbst erschaffen hatte, aufnehmen konnte.
Drei Tage später war es Ben, der mich in die Enge trieb. Wir waren bei Dalt’s und ich schob mir gerade das letzte Stück Blaubeermuffin in den Mund– frisch vom Grill natürlich–, während wir Cribbage spielten und ich vor mich hinträumte.
» Sag mal, wenn die Körperfresser kommen und einem den Körper rauben, tut das weh oder kriegt man davon kaum was mit?«
» Hä?«, fragte ich.
» Ich habe dich jetzt dreimal hintereinander vernichtend geschlagen. Was ist mit dir los?«
Er hob eine Augenbraue. Jetzt war er in seinem Ermittlermodus und es gab kein Entrinnen. Ich stellte mir vor, wie ich ihm alles erzählte wie Rayna, und bekam fast keine Luft mehr. Lieber würde ich sterben, als Ben von meinen Fantasien zu erzählen. Er würde es mir ewig unter die Nase reiben.
Trotzdem musste ich irgendetwas antworten und er kannte mich zu gut, als dass ich ihm den letzten Quatsch auftischen konnte.
Ich dachte an die Bilder. Ich könnte ihm von den Fotos erzählen und die Träume unter den Tisch fallen lassen. Ben war wie Dad– er sog alles in sich auf, das nach etwas Unerklärlichem roch. Das Bild von dem Mann, der am Prager Veitsdom mitten in der Luft schwebte, würde er lieben.
» Vielleicht hältst du mich für verrückt…«, fing ich an.
» Das tue ich sowieso…«
Ich holte tief Luft und begann zu erzählen. Ich berichtete ihm von den Bildern, auch denjenigen, bei denen es ausgeschlossen war, dass sich der Mann wirklich auf den Aufnahmen befand, als ich sie gemacht hatte. Als ich geendet hatte, hatten sich Falten in Bens Stirn eingegraben und die leichte Besorgnis in seinen Augen hatte sich zu Angst ausgewachsen.
Er dachte wirklich, ich spinne. Ich hätte ihn nicht einweihen sollen. » Hör auf, mich so anzuschauen. Ich weiß, dass es eine logische Erklärung gibt«, versicherte ich ihm. » Mir ist nur noch nicht klar, wie die aussehen soll, aber–«
» Du musst mir die Bilder zeigen.« Ben klang ernst.
» Ähm… okay«, sagte ich, obwohl ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, dass ich sie mit jemandem teilen wollte. » Ich hatte mir vorgenommen, dass ich die Datei erst nach Rio wieder aufmache und versuche…«
» Nein, Clea«, sagte er. » Ich muss sie jetzt sehen.«
vier
Zwanzig Minuten später stützte Ben sich
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