Elixir
erklären?«
Sage ging nicht auf meine Frage ein. » Dein Vater war ein guter Mann, Clea«, sagte er stattdessen. » Pass gut auf dich auf. Ich wünsche dir ein langes, glückliches Leben.« Er streckte die Hand vor und strich mit den Fingern leicht über meine Wange. Meine Haut brannte unter seiner Berührung. Ich wollte mehr davon, doch im nächsten Moment war er weg und arbeitete sich schon durch das Gebüsch.
» WARTE !« Ich war wütend, dass meine Beine mich so im Stich ließen und ich ihn nicht verfolgen konnte. Endlich hatte ich Sage gefunden. Ich war mir ganz sicher, dass er der Mann aus meinen Träumen war. Nicht nur jemand, der ihm ähnlich sah. Er war es, der mich verstand wie niemand zuvor– und jetzt konnte ich nur zusehen, wie er im Wald verschwand, und hatte noch immer keine Antwort darauf, woher er meinen Vater kannte. Hatte Sage ihm etwas angetan? Ich konnte es mir nicht vorstellen, doch in meinem Kopf wirbelten so viele verschiedene Gedanken und Gefühle durcheinander, dass ich nicht mehr wusste, was ich glauben sollte.
Ben zog sein Handy heraus.
» Der entkommt uns nicht. Ich rufe die Polizei und sage, dass er etwas mit dem Verschwinden deines Vaters zu tun hat. Wir können ihn beschreiben– wir haben sogar Fotos. Warte, nein, die Fotos können wir nicht verwenden, das würde zu kompliziert werden. Oder meinst du, wir sollten sie ihnen zeigen?«
Ich hörte Bens aufgeregte Stimme, doch ich hatte keinen Schimmer, was er sagte. Ich konnte die Augen nicht von der Stelle abwenden, an der Sage im Gebüsch verschwunden war.
Wosch! Ein riesiger schwarzer Schatten sprang aus einem der Bäume, landete auf Ben und riss ihn zu Boden.
» BEN !«
Bevor ich reagieren konnte, packte jemand meine Arme und drehte sie mir auf den Rücken. Instinktiv trat ich mit meinem guten Bein so kräftig wie möglich nach hinten und traf meinen Angreifer am Knie. Sein Griff lockerte sich und ich rammte meinen Ellbogen nach hinten in sein Gesicht, fuhr herum und versetzte ihm einen Schlag nach dem anderen in die Magengrube… bis ich von hinten gepackt und hochgehoben wurde. Ich trat um mich, dann packte der erste Typ meine Beine und klemmte sie sich links und rechts unter die Arme. » Da haben wir aber eine Wildkatze erwischt!« Der Mann sprach mit einem harten Akzent, der schwer zu verstehen war. Ich warf den Kopf zurück, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Sollte ich die Gelegenheit dazu bekommen, wollte ich ihn gut beschreiben können. Ich roch es, noch bevor ich es sah: den Fäulnisgestank seiner maroden schwarzen Zähne. Seine teigigen Wangen waren eingesunken, an Stirn und Kinn hatte er offene Stellen und über seinen Hals lief ein großes, verblasstes Tattoo: ein Totenschädel, aus dessen Augenhöhlen Feuer loderte. Darunter standen die Buchstaben VV . Er mochte zwar krank aussehen, aber er war stark. Ich konnte meine Arme nicht rühren.
Auf seinem Gesicht erschien ein breites, häßliches Grinsen. » Hey! Schaut mal, wer das ist!« Er wandte sich an seine Freunde, den, der meine Beine festhielt, und den, der Ben auf den Boden gedrückt hielt. » Schaut, wen wir da haben! Das ist die Tochter dieser Frau. Es ist… wie heißt sie gleich wieder? Clea! Clea Raymond! Wir haben ein reiches Promitöchterchen geschnappt. Da sollte reichlich Kohle drin sein, Kumpel–«
Wosch! Etwas schwang sich von einem der Bäume herab und erwischte ihn voll an der Nase, aus der augenblicklich Blut spritzte. Als der Mann bewusstlos wurde, ließ er meine Arme los und ich knallte mit dem Kopf voran zu Boden. Ich sah im wahrsten Sinne des Wortes Sternchen. Mit aller Macht versuchte ich, dagegen anzukämpfen, doch die Welt rückte in immer weitere Ferne, entglitt mir mehr und mehr… bis sie ganz verschwand.
Mein Bewusstsein kehrte langsam zurück. Noch bevor ich meine Augen wieder aufschlug, spürte ich, dass ich in Bewegung war.
Schnell. Sehr schnell.
Jedoch ohne selbst etwas zu tun. Wie war das möglich?
Moment mal– da waren Arme, die meine Beine umklammerten.
Es war der Typ– er musste es sein–, der meine Beine festgehalten hatte. Und jetzt hatte er mich über seine Schulter geworfen und rannte mit mir davon.
Als meine Sinne allmählich zurückkehrten, überlegte ich fieberhaft, was ich tun sollte. Gab es irgendeinen Ausweg?
Einen Vorteil hatte ich: Der Typ, der mich trug, dachte, ich sei noch immer bewusstlos. Ich tastete nach seinem Shirt und seiner Jacke und zog sie vorsichtig hoch.
Dann holte ich tief
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