Elizabeth II.: Das Leben der Queen
Rücksicht auf seinen Sprachfehler; das erhalten gebliebene Originalmaterial wirkt umso eindringlicher. Der König steht neben Churchill als die zweite wichtige Figur vor uns, die in jenen Jahren den Briten den Rücken gestärkt hat.
Dabei war für die Insel der Krieg zunächst nur ein
phoney war,
ein unechter Krieg, der sich fern den eigenen Küsten abspielte. Das änderte sich schlagartig 1940, als nach dem Dünkirchen-Debakel von Ende Mai Invasionspläne Hitlers bekannt wurden und man sich auf das Schlimmste gefasst machen musste – auf eine deutsche Besetzung. Für die hatte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin Einsatzgruppen vorgesehen, die nach der ersten militärischen Welle in sechs Schlüsselregionen die Kontrolle übernehmen sollten: London, Bristol, Birmingham, Liverpool, Manchester, Edinburgh. Ergänzend dazu verfügte Walther von Brauchitsch, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B und designierter Overlord der Insel, in einer «Direktive über die Militärregierung in Großbritannien» vom 9. September 1940 unter anderem, «dass die taugliche männliche Bevölkerung zwischen 17 und 45 Jahren, von Regelungen im Ausnahmefall abgesehen, interniert und auf den Kontinent verbracht werden soll». Hybris zeitigt merkwürdige Blüten.
Die englische Elite machte sich keine Illusionen, was ihr bei einer erfolgreichen deutschen Invasion blühen würde. Tatsächlich erfuhr man auf der Insel nach dem Krieg von der Existenz einer schwarzen Liste mit 2820 «besonders gesuchten Personen», alle präzise mit ihren Adressen gekennzeichnet, die nach erfolgter Invasion sofort verhaftet werden sollten, und zwar nicht nur Politiker, sondern auch Künstler, Verleger, Emigranten, Presseleute, Wissenschaftler und Gewerkschafter. Dieses Gestapo-Handbuch wurde im Jahr 2000 in englischer Übersetzung zum ersten Mal veröffentlicht.
Einer, der auch ohne die Kenntnis dieser Liste schon damals wusste, dass über ihm das Damoklesschwert der Verhaftung hing,war der in unserer Erzählung mehrfach erwähnte Harold Nicolson, parlamentarischer Staatssekretär im Informationsministerium, Essayist, Tagebuchautor und kundiger Kommentator deutschen Hochmuts; das genannte Verzeichnis trug in der Tat auch seinen Namen, nebst Adresse: «London S.E. 1, 4 King’s Bench Walk. RSHA VI G1». Am 26. Mai 1940 schrieb Nicolson besorgt an seine Frau, die Schriftstellerin Vita Sackville-West: «Um Dir jede Demütigung zu ersparen, solltest Du eigentlich eine Giftkapsel bereithalten und damit, wenn nötig, abtreten. Ich werde mir ebenfalls eine besorgen. Ich fürchte mich überhaupt nicht vor einem so schrecklichen und plötzlichen Tod. Was ich wirklich fürchte, ist gefoltert und erniedrigt zu werden. Nur – wie an solche Kapseln herankommen? Ich werde meine Arztfreunde fragen.» Am 19. Juni dann die «beruhigende» Botschaft an Vita: «Ich habe jetzt das Gewünschte und werde Dir Deine Hälfte am Sonntag mitbringen. Es sieht alles ganz einfach aus.»
Nicht mit Gift, dafür mit Revolver bewaffnet war der König bei allen Terminen, zu denen er gefahren wurde. George VI. und seine Frau wollten kämpfen, wenn die Deutschen kämen – im Park des Buckingham Palasts nahm das Ehepaar Schießunterricht. Besonders ernst war Königin Elizabeth bei der Sache, sie erschreckte ihre Mitarbeiter geradezu mit dem Enthusiasmus, den sie bei ihren Zielübungen an den Tag legte; noch als Chef der Admiralty, der er bei Kriegsausbruch wurde, hatte Churchill ihr einen besonders zielgenauen amerikanischen Revolver beschafft. Außenminister Lord Halifax, der auf seinem Weg nach Whitehall die Abkürzung durch den Park des Buckingham Palastes nehmen durfte, beschloss diskret, künftig eine andere Route zu nehmen, nachdem er eines Tages die Königin und ihre Aufwartedamen bei deren Schießübungen erlebt hatte.
Natürlich steckte in diesen Gesten des Widerstandes eine gute Portion Kalkulation – wir haben Elizabeth bereits als einen geschickten Impresario der öffentlichen Meinung kennen gelernt.Aber mehr als Propaganda war im Spiel. Während viele Mitglieder der Aristokratie und anderer Schichten, die es sich leisten konnten, sich zu ihrer Sicherheit ins Ausland absetzten oder zumindest die Kinder dorthin verbrachten, machte Her Majesty mit einem berühmten Ausspruch klar, dass die Königsfamilie diesem Beispiel nicht folgen werde: «Die Prinzessinnen würden nie ohne mich das Land verlassen, ich nicht ohne den König, und der König würde nie gehen.»
9.
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