Elizabeth - Tochter der Rosen
Summe. Dein Vater muss sie sehr geliebt haben.«
»Das hat er. Und sie liebte ihn. Ich erinnere mich, wie sie jedes Mal auf ihn zulief, wenn er aus der Schlacht heimkehrte, wie er sie berührte und wie sie einander ansahen ...« Sie verstummte merklich ergriffen.
Ich bemerkte, dass eine Träne in ihren Wimpern glitzerte. »Was ist, liebe Lucy? Was betrübt dich?«, fragte ich.
»Nichts, meine Königin. Nichts Wichtiges. Bloß eine Erinnerung.«
»Lucy, ich glaube, wir ehren jene, die wir liebten, indem wir uns an sie erinnern, auch wenn die Erinnerung uns mehr Kummer als Freude bringt.«
Offenbar stimmte sie mir zu, denn nach einer Weile fuhr sie leiser fort: »Ich erinnere mich an das letzte Mal, dass sie einander vor Barnet sahen ... Sie beide wussten, dass sie sich auf immer Lebewohl sagten, und strengten sich an, tapfer zu sein und zu tun, als würde alles gut. Doch im letzten Moment hielt meine Mutter es nicht mehr aus und warf sich gegen die Rüstung meines Vaters.« Lucy biss sich auf die Unterlippe, ehe sie den Blick abwandte. »Und er stand steif wie eine Lanze da und blickte über ihren Kopf hinweg.«
Ihr zuzuhören weckte meine eigenen Seelenqualen aufs Neue. Im Geiste sah ich Richards Gesicht in dem kleinen Raum in Westminster, bevor ich nach Sheriff Hutton abgereist war. Auchich erinnerte mich an das letzte Mal, dass ich Richard sah. Wir beide wussten ebenfalls, dass es ein endgültiger Abschied war.
Ich drückte Lucys Hand und schloss für einen Moment die Augen. Wir glauben, die Wunden der Vergangenheit wären vernarbt und lange vergessen, aber ein leichtes Kratzen genügt, und sie bluten aufs Neue.
In der Nacht träumte ich von Richard. Er kam aus dem Nebel zu mir und hielt eine rote Rose in der Hand.
~
Anfang November kehrte ich nach Sheen zurück. Die Pilgerreise nach Walsingham hatte meine Mutlosigkeit nicht gelindert, denn ich empfand Lizbeths Verlust noch viel zu stark. Aber Gott in seiner Gnade hatte uns ein neues Leben geschenkt, und mit jeder Woche schwoll mein Bauch mehr an und machte mir gegenwärtig, dass es inmitten großer Trauer auch Segen geben konnte.
In diesen Wochen suchte ich oft Zuflucht in meinen Erinnerungen. Allein in meinem Gemach schloss ich meine Truhe mit dem Schlüssel auf, den ich stets um den Hals trug, und holte Richards Buch, Tristan , hervor.
»Du sagtest, ich würde dich vergessen, Richard«, murmelte ich seinem Bild zu, »aber das habe ich nicht und werde ich nie.«
Ende November gab es beunruhigende Vorzeichen, dass das Schicksal weiteres Unheil für uns bereithielt. London wurde von einer mysteriösen Krankheit heimgesucht, und es gab ein Unwetter mit tellergroßen Hagelkörnern. In der Nacht krachte Donner über der Stadt, und es tosten seltsam heftige Stürme. Als Weihnachten näher rückte, erfuhren wir von Margaret Beaufort, dass sie sich von ihrem Gemahl, Thomas Stanley, getrennt und ein Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Nun kleidete sie sich im Schwarz-Weiß einer Nonne, wobei der untere Teil ihrer Kopfbedeckung bis dicht unter ihr Kinn reichte. Diese Mode schmeichelte ihr ganz und gar nicht, doch solch ein Schleier war in ihrem Orden allen von geringerem Rang als dem einer Baroness verboten. Unter ihrem Habit trug sie ein Büßerhemd. Sie widmete sich verschiedenen Studien in Oxford und Cambridge. Vor allem aber verschrieb sie sich dem Unterrichten des »brillanten Harry« und der »stürmischen Margaret«, ihren angebeteten Enkeln. Nebenher hatte sie angefangen, den Armen die Füße zu waschen und Sterbende zu trösten.
»Ich hoffe, von ihnen zu lernen, wie man gut stirbt.«
Sie ist jetzt zweiundfünfzig und zittert davor, ihrem Schöpfer gegenüberzutreten, dachte ich und bekreuzigte mich.
Arthur kam über Weihnachten und erhellte die Wochen bis zu seiner Rückkehr nach Wales. Das schreckliche Jahr 1495, das mir meine kleine Lizbeth geraubt hatte, klang endlich aus.
Als ich kurz vor der Niederkunft war, reiste Margaret Beaufort von ihrem Anwesen in Woking an, um mein Geburtszimmer in Sheen vorzubereiten. Sie legte Federkissen und eine dicke Überdecke aus scharlachrotem Samt mit Hermelinrand, die mit goldenen Kronen und Rosen bestickt war, auf das Bett. Das Zimmer war dunkel, denn sämtliche Fenster waren gemäß den Vorschriften ihres Ordens mit Gobelins verhängt worden. Auf den Wand- und Fensterbehängen waren nur Blumenmotive erlaubt, weil Margaret glaubte, dass Abbildungen von Menschen einen schlechten Einfluss auf das
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