Elizabeth - Tochter der Rosen
Vater glaubt fest, dass der Prätendent unser Dickon ist.«
Ich hob eine Hand an meine schmerzende Schläfe. Gemeine konnten nicht aus Liebe in Königsfamilien einheiraten, undwenn sie es taten – wie im Falle meiner eigenen Mutter oder meiner entfernten Ahnin Katherine de Roet, die den Duke of Lancaster geheiratet hatte –, lösten sie damit einen weltweiten Skandal aus. Trotzdem hatte diese Heirat kein allgemeines Entsetzen entfacht. Mir gingen Cliffords Worte durch den Kopf: Die gekrönten Häupter Europas haben ihn ausnahmslos als Richard von England anerkannt, sogar Spanien.
Heilige Mutter Gottes, wer ist er?, fragte ich mich.
Ist er mein Bruder?
Ich will nicht, dass er mein Bruder ist!
»Henrys Spione sagen, dass James für diesen Richard gegen uns in den Krieg zieht ... und dass es James ist, nicht der Prätendent, der auf eine Invasion drängt«, sagte Kate.
Patch fiel vor mir auf ein Knie und rupfte die gefiederte Kappe von seinem großen, unförmigen Kopf. »Der Prätendent dürstet nicht nach der Schlacht! Er wünscht bloß, barhäuptig vor der Dame zu knien, die er liebt, und süße Worte zu säuseln.«
»Patch, du Narr, was weißt du von der Liebe?«, lachte Kate.
Ich drehte mich um und ging ans Fenster. Der Minnesänger in der Ecke spielte die Melodie, die ich zuvor geübt hatte: Oktober . Draußen mochte Augusthitze herrschen, doch das Lied passte zu meiner Stimmung.
Fällt das Laub im Oktober, denk ich an dich ...
Im Oktober friere ich einsam und warte auf dich.
Eine Liebesheirat würde ich niemals erleben. Nie würde ich mich jemandem so nahe fühlen, dass es mir schien, als wohnten unserer beider Herzen in meinem Busen. Mich nie von dem entkleiden lassen, den ich liebte, mir von ihm niemals den Haarschmuck abnehmen, das Haar lösen, das Mieder öffnen, den Unterrock ausziehen lassen. Nie würden meine Hände ihnzärtlich entkleiden, bis Robe, Waffenrock, Hemd und Hose hinunterfielen ... Mir bliebe auf immer verwehrt, das Bett mit einem geliebten Mann zu teilen, Leidenschaft zu erfahren, liebevolle Berührungen, wahre Wonnen, in denen sich unsere beiden Körper verloren. Niemals würde der, den ich liebe, sich mir hingeben oder ich im Feuer der Liebe seinen Namen rufen.
Nie wäre ich sein und er mein.
Ich empfand einen Verlust, der jenseits der Tränen war. Langsam atmete ich ein und wieder aus. Der Prätendent hatte eine Krone angestrebt, jedoch etwas weit Kostbareres gefunden.
Dickon, falls du es wirklich bist, nimm das, was du hast, und vergiss die Krone!, rief ich ihm in Gedanken zu.
Kate kam zu mir, legte einen Arm um mich und führte mich zum Sofa, wo sie sich mit mir hinsetzte.
»Alle Welt glaubt, dass er Dickon ist, Elizabeth. Ausgenommen hier in England, wo Henry herrscht.« Sie zögerte und ergänzte seufzend. »Weil sie es nicht wagen.«
Während sie meine Hand in ihrer hielt, senkte ich meinen Kopf auf ihre Schulter.
~
Über die letzten Sommertage in den prächtig geschmückten Räumen von Windsor Castle mit Blick auf den Fluss und die Häuser dahinter gingen wir unseren täglichen Beschäftigungen nach und taten, als wäre alles wie immer. Vom gepflasterten Innenhof hallten Hufschläge, Pferdeschellen und Stimmen, als die Lords und Ladys begrüßt wurden, die wir eingeladen hatten. Bei den Banketten applaudierten wir den Akrobaten und einem Mann, der glühende Kohle aß. An anderen Abenden lachten wir über Diego, den spanischen Narren, der wie ein Pferd umherhüpfte, und über die Albernheiten meines Narren Patchsowie Henrys Narren, den er »Dummkopf Dick« taufte, um Richard zu verhöhnen. Die Kinder angelten, ritten mit uns zur Hasenjagd und spielten Tennis mit ihrem Vater. Ganze Nächte verbrachten wir beim Kartenspiel. Verlor Henry bei »Triumph« oder »Plunder«, lieh er sich Geld von seinen Ratsherren, um weiterspielen zu können.
Aber er konnte seinen Unmut nicht mehr verbergen, indem er den Prätendenten leichthin als Schwindler abtat. Dessen Gemahlin Catherine Gordon hatte unlängst einen Sohn geboren. Bevor er seine Einwilligung zu dieser Vermählung gegeben hatte, musste König James IV . ein unwiderlegbarer Beweis vorgelegt worden sein, dass Perkin Warbeck mein Bruder Dickon war. Ich verfiel in eine Niedergeschlagenheit, die mich ins Bett zwang. Wieder einmal quälten mich die Erinnerungen an das Kloster und den großen Kummer, als mein kleiner Bruder abgeholt worden war. Und ich sah meinen Onkel Richard in dem Kapitelsaal stehen, hinter
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