Elizabeth - Tochter der Rosen
Freundlichkeit, mein Sohn.«
Harry lachte. »Wen kümmern denn ihre Herzen? Wenn sie tot sind, ist es vorbei mit ihnen.«
Wieder einmal wurde mir bang um mein Kind. Er bezauberte jeden mit seinem Lächeln, seinen sportlichen Leistungen, seinem musikalischen Talent, der Liebe zur Poesie und seinem brillanten Verstand. Und mit seinem rosigen Teint und den rotgoldenen Locken sah er wie ein Engel aus. Doch Blut faszinierte ihn auf makabre Weise.
Er ist noch jung. Seine Fehler lassen sich korrigieren, sagte ich mir.
Im Morgengrauen des nächsten Tages wurden wir von Rufen, Schreien, fernem Kanonendonner und Pferdewiehern geweckt.
»Die königliche Armee hat angegriffen!«, rief Harry und eilte zum Fenster. »Vater greift an!«
Ich erlaubte ihm, die Schlacht von den Zinnen aus zu beobachten, nachdem er mir feierlich versprochen hatte, umgehend zu mir zu kommen, wenn feststand, wie sie ausgegangen war. Derweil zog ich mich mit Kate, Maggie und den Damen meines Haushalts zum Gebet zurück. Die Kämpfe dauerten Stunden. Mittags kam Harry zu mir gelaufen.
»Vater hat gesiegt! Die Rebellion ist niedergeschlagen! Blackheath ist bedeckt von Toten, und wir sind alle sicher!«
Um zwei Uhr am Nachmittag wurden die Tore Londons unter Jubel und Fanfarenklängen der königlichen Armee geöffnet. Ich ging hinunter in den Hof, um Henry zu begrüßen. Lächelnd ergriff er meine Hand.
~
Lord Audley, der einzige Adlige, der sich den Rebellen angeschlossen hatte, wurde am nächsten Tag nach Newgate gebracht. In einer zerrissenen Papiertunika und mit den Armen auf dem Rücken zusammengebunden, zog man ihn auf einem Karren durch die Stadt zum Tower Hill, wo er geköpft werden sollte.
»Darf ich zugucken, Vater?«, fragte Harry.
»Es ist kein Anblick für ein Kind«, sagte ich.
»Aber ich bin ein Mann. Ich habe das Herz eines Mannes! Ich habe gesehen, wie Onkel William gestorben ist. Wieso soll ich nicht zuschauen, wie Audley der Kopf abgehackt wird?«
Ich sah zu Henry. »Ich bin entschieden dagegen, Mylord.«
Henry wuschelte seinem Sohn durchs Haar. »Deine Mutter hat recht. Du hast bereits genug Blut gesehen.«
Später am selben Tag fand ich Harry im Empfangszimmer auf dem Thron sitzend. Seine kurzen Beinchen standen waagerecht von der Stuhlkante ab. Maggie verneigte sich ohne Unterlass vor ihm. »Mehr!«, brüllte Harry lachend. »Ich will mehr Ehrerbietung, oder ich schicke dich zum Scharfrichter!«
»Was tut ihr hier?«, fragte ich.
Beide Kinder kamen zu mir gelaufen.
»Er ist König, und ich bin ein Verräter«, sagte Maggie. »Und ich werde vom Scharfrichter in Stücke gehackt.«
»Lass uns einen Moment allein, Maggie!«, befahl ich ihr. Ichbebte vor Wut. »Was dich betrifft, Harry, denk lieber daran, dass du niemals König wirst, denn dieses Amt gebührt deinem Bruder. Ich will dich nie wieder bei solch einem Spiel ertappen. Es ist eine ernste Majestätsbeleidigung.«
Harry trottete niedergeschlagen von dannen. Ich ging zu Henry in sein Privatgemach, wo er seine Dokumente beiseitelegte, mich mit einem Wangenkuss begrüßte und seufzte.
»Was ist?«, fragte ich.
»Ich muss entscheiden, wie ich mit den Aufständischen verfahre. Die Anführer werden vor Gericht gestellt, aber die übrigen ...«
»Henry, sei ihnen gnädig!« Seine Miene verhärtete sich, wie immer, wenn ich von Gnade sprach. Deshalb ergänzte ich hastig: »Ihre Strafe kann dennoch hart sein.«
Für einen Moment sah er mich verwirrt an, dann erhellten sich seine Züge. »Buße, meinst du? Ihr Geld anstelle ihres Blutes? Eine exzellente Idee!«
Ich lächelte innerlich. Indem ich an Henrys Habgier appellierte, hatte ich sein Herz erreicht.
Die breite Masse der Cornwall-Rebellen wurde unversehrt nach Hause geschickt, allerdings mit einer hohen Geldstrafe belegt. Über die nächsten Tage erklangen Trompeten in ganz London, die das Verlesen von Henrys Proklamation ankündigten. »Alle Männer, die in der Schlacht Gefangene nahmen, sollen sie zum Tower bringen. Der König wird für jeden Gefangenen zwölf Pence zahlen, mehr für die von höherem Rang.«
Bald strömten lange Schlangen von Gefangenen in den Tower. Sie wurden von den Männern ausgeliefert, die sie auf dem Schlachtfeld gefangen genommen hatten und nun ihre Belohnung wollten. Den Prozessen gegen die Anführer saß Henry selbst vor, und Harry durfte zuschauen. Sie wurden zum Verrätertod verdammt und in Tyburn ausgeweidet. Teile ihrer Leiberwurden auf den Tower-Toren aufgespießt, ihre
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