Elizabeth - Tochter der Rosen
Bittsteller.
Eine alte Frau kam herein und kniete sich vor mich. Sie nannte mir einen Namen, der mir vertraut vorkam, obgleich mir nicht einfallen wollte, woher ich ihn kannte.
»Ich komme in ihrem Auftrag, Eure Hilfe zu erbitten, meine Königin. Sie war die Amme von Prinz Richard, dem Bruder von Euer Hoheit Gnaden. Nun ist sie gebrechlich und bettlägerig. Sie leidet große Armut, bei Gott, die leidet sie.«
Die Erwähnung Dickons erfüllte mich mit Angst, und mir wurde schwindlig. »Nehmt diesen Stoff«, sagte ich rasch. »Es sind dreieinhalb Meter feinster Wolle. Sie kann ihn verkaufen, und der Erlös wird sie über Monate ernähren.«
Lucy Neville gab der alten Frau den Stoff.
»Keine Bittsteller mehr. Es ist spät, und ich muss mich ausruhen«, erklärte ich Lucy.
Aber ich konnte nicht ruhen. Ich stand mit Richards Buch Tristan in den Händen am Fenster und betrachtete sein Porträt. Draußen dämmerte es; bald würde es dunkel sein. In Erinnerungen versunken, nahm ich die Geräusche der Burg nur gedämpft wahr: das Plappern meiner Hofdamen im Vorzimmer, die Stimmen der Diener, die sich draußen etwas zuriefen, das Lachen der Kinder.
»Mutter, was machst du?«
Harrys Stimme neben mir erschreckte mich. Ich hatte nicht gehört, dass jemand hereingekommen war, und zuckte so heftig zusammen, dass ich das Buch und die Miniatur fallen ließ. Ich hielt den Atem an, als Harry sich bückte, um beides aufzuheben. Langsam, sehr langsam steckte er Richards Porträt zurück in den kleinen Lederband. Dann richtete er sich auf, gab mir das Buch und sah mir in die Augen.
»Deines, Mutter, denke ich?« Seine Stimme klang hart, richtig schneidend.
Ich blickte ihm nach, als er hinausging. Jetzt würde er es seinem Vater erzählen. Aber was machte das? Ich beschloss, das Porträt an einem Ort zu verstecken, wo es in hundert Jahren keiner finden würde. Henry mochte gut darin sein, Menschen zu zerstören, doch das Letzte, was mir von Richard blieb, würde er nicht zerstören. Ich drehte mich wieder zum Fenster und erblickte in der Ferne eine Gestalt in Schwarz, die mit gesenktem Haupt auf einer Bank am Ufer saß. Catherine Gordon.
Ich ging zu meinem brokatbezogenen Schreibtisch, mein geliebtes, abgewetztes Exemplar von Richards Tristan in der Hand, und nahm auf dem Stuhl Platz. Vorsichtig öffnete ich die Seiten, denn nachdem ich es fallen gelassen hatte, wollte ich nicht die letzten Körnchen roten Sandes vom Schlachtfeld verlieren, und malte Richards Schriftzug mit dem Finger nach: Loyaulte me Lie, Richard of Gloucester . Er hatte eine solch schöne Handschrift gehabt, so kräftig, klar und elegant!
»Richard«, murmelte ich, während ich das berührte, was mir von ihm geblieben war. »Richard ...« Wie gut, dass du an jenem Tag in Bosworth nicht ahntest, wie alles enden würde: dein geschändeter Leichnam, dein mutwillig zerstörtes Andenken, deine Freunde und deine Angehörigen, die gejagt und ermordet wurden, Jack of Lincoln, Humphrey Stafford, der junge Edward of Warwick, dein eigener süßer Junge Johnnie, ein Unehelicher und keine Bedrohung für irgendwen außer einem anderen Unehelichen. Alle, die dich liebten, sind jetzt tot, Richard, außer mir und vielleicht Francis Lovell.
Ich blätterte zu Richards Porträt in der Mitte des Buches, wo Harry es eingesteckt hatte. Dunkles Haar, breiter, sinnlicher Mund, starkes Kinn. Die Augen blickten in die Ferne, wirkten ernst und erfüllt von einer schrecklichen Traurigkeit. Seine letzten Worte hallten durch die dunkle Stille in meinem Kopf: Du wirst dich verändern. Und du wirst mich vergessen.
Du hast dich geirrt, Richard. Ich habe mich nicht verändert, und ich habe dich nicht vergessen. Nichts kann dich aus meinem Herzen auslöschen.
Ich legte die Miniatur ab, zog das Buch zu mir und dachte daran zurück, wie ich achtzehn Jahre und in Sheriff Hutton war. Dann nahm ich eine Feder aus dem Sandbecher, tunkte sie behutsam in die Tinte und schlug das Deckblatt des Buches auf. Sans Removyr schrieb ich unter Richards Worte, denn das war mein Motto. Nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich es benutzt, als ich weder Prinzessin noch Königin gewesen war. Unverändert . Ich hob sein Bildnis an meine Lippen, küsste es und blickte hinauf in den trüben Winterhimmel. »Richard, du magst verhasst gewesen sein, doch du wurdest auch sehr geliebt«, flüsterte ich.
Ich nahm die Silberkette mit dem Schlüssel von meinem Hals und öffnete das Geheimfach in meiner Truhe.
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