Elizabeth - Tochter der Rosen
Erinnerungen er in diesem Moment nachhing. Seine sanftmütige Königin, die Spielgefährtin aus seiner Kindheit und die große Leidenschaft seines Lebens, war fort, ihr Licht erloschen. Und mitihr hatte er jene Liebe verloren, die ihm durch die Höhen und Tiefen seiner Kindheit, beide Exile und all die Kriege geholfen hatte. Jetzt sollte seine geliebte Frau auf ewig in dieser dunklen Nische verschwinden – sie, die seine Träume, seine Jugend, seine Anfänge und so viele seiner Enden geteilt hatte.
Ich sah, wie die Schultern des einsamen Königs zu beben begannen, und dann hörte ich das herzzerreißendste Geräusch, das ich in meinem ganzen Leben vernommen hatte: das erstickte Schluchzen eines Mannes, der für seine mutigen Taten und seine große Stärke berühmt war. Am Fuße des Grabes, umgeben von seinen Adligen und Prälaten seines Königreichs, brach König Richard, der den Verlust seiner gesamten Familie und den Tod seines einzigen Erben durchgestanden hatte, vor Trauer zusammen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte.
KAPITEL 10
Die Trennung · 1485
W ENIGE TAGE nach Königin Annes Beerdigung gab Richard auf Anraten seiner engsten Vertrauten öffentlich bekannt, dass er nicht beabsichtigte, mich zu heiraten. Nicht von ihm selbst erfuhr ich es, sondern von meinem kleinen Cousin, Edward, Earl of Warwick.
»Bist du t-traurig wegen Onkel R-Richard?«, fragte er, als ich mit ihm über ein Kriegsbanner gebeugt war, das er dem König schenken wollte und bei dem ich ihm half.
Ich betrachtete den verlorenen kleinen Jungen voller Mitgefühl. Eine von König Richards ersten Taten als König war gewesen, nach dem verwaisten Edward of Warwick zu schicken und ihn bei sich aufzunehmen – ebenso wie seine kleine Schwester Margaret. Das einzige Glück, das der Junge jemals kennengelernt hatte, hatte er im Haushalt von Richard und Anne erlebt. Was würde aus ihm, sollte Richard die Schlacht verlieren?
»Ich bin traurig wegen König Richard, weil er so viel leiden muss«, antwortete ich, ohne von seinem Wappen mit dem braunen Hochlandrind aufzublicken, welches ich ihm auf der weißen Seide vorzeichnete.
»Ich m-meine, weil du n-nicht den K-König heiratest«, erklärte Edward.
Ich zögerte, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Warum fragst du mich so etwas, Edward?« Mein Herz pochte sehr schnell.
»J-Johnnie hat das gesagt«, gestand er unglücklich. »E-Entschuldige, Lizzie ...«
Ich zog ihn in meine Arme und strich ihm über die goldenen Locken. »Schon gut, Edward«, beruhigte ich ihn. »Es ist schon gut.«
Doch das war es nicht. Mir blutete das Herz.
Bald wurde offensichtlich, dass eine schriftliche Erklärung nicht ausreichte und Richard die Heiratsgerüchte persönlich abstreiten musste. Er bestellte den Bürgermeister, die Ratsherren und die obersten Bürger Londons, seine weltlichen wie geistlichen Herren und die führenden Bediensteten seines Haushalts ins Hospital »Knights of St. John« in Clerkenwell. Den Ort wählte er absichtlich, weil hier Recht gelehrt wurde und er seine Herrschaft auf dem Gesetz gründete. Mit lauter, strenger Stimme verkündete er ihnen, dass die Gerüchte, die Tudor verbreitete, jedweder Grundlage entbehrten.
~
Nach Annes Tod waren wir nie wieder allein. Trotzdem vereinten sich unsere Herzen jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten. Eines Aprilmorgens, als der Frühling mit frischem Grün und ersten Blüten ausgebrochen war, rief Richard die Familie in seiner königlichen Suite zusammen. Er musste tagelang nicht geschlafen haben, so dunkel, wie die Schatten unter seinen grauen Augen waren.
»Ich habe entschieden, dass diese Schlacht mit Tudor meine letzte sein soll«, sagte er. »Ich habe mein Bestes für England gegeben. Nun möge Gott über mich richten. Und wir sagen einander Lebwohl.«
Mich überkam entsetzliche Furcht. Ich verstand nicht, was er meinte, doch ich fragte nichts und wartete geduldig.
Richard betrachtete uns alle, als wollte er sich unsere Gesichter einprägen. Die Countess trug ihr dunkles Trauergewand, und ihr Gesicht unter dem zarten Schleier war vor Gram gealtert. Dennoch hielt sie sich vornehm aufrecht und würdevoll wie eh und je. Der kleine Edward stand neben ihr, in schwarzem Samt gekleidet. Er war nun zehn Jahre alt, und nichts an ihm erinnerte an George of Clarence oder Bella, die Tochter des Königsmachers, geschweige denn an seinen stolzen Großvater Warwick. Nein, Edward hatte nichts Fröhliches, Stolzes
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