Elke im Seewind
weiß!
Auf dem ganzen langen Weg nach Nebel ist die Lehrerin in ihrem Wesen durchaus die alte, auch Lotti gegenüber. Wenn es wirklich schon zu der von dem Kinde so gefürchteten schlimmen Entdeckung gekommen sein sollte
— anzumerken ist es ihr nicht.
Katje und Elke erzählen begeistert von allem, was sie auf Hooge und auf den Fahrten gesehen und erlebt haben, und auch für die stille Ruth ist es ganz offenbar ein sehr eindrucksvoller Ausflug gewesen. Aber Lotti antwortet immer nur auf die Fragen, die die Lehrerin an sie stellt. Man könnte meinen, sie wäre halbblind und — taub durch die vergangenen anderthalb Tage gegangen. Und ist sie das nicht auch eigentlich wirklich, da ihr böses Gewissen ihr keinen Augenblick Ruhe ließ?
Im „Haus Halligblume“ angelangt, hat Lotti kaum die Kraft, mit den anderen die Treppe ins Obergeschoß hinaufzugehen. Ihre Füße sind schwer wie Blei. Sie kann sie kaum heben. So würgt die Angst sie. Wie wird es in der Stube aussehen — sind die Schränke umgeräumt?
Wenig später fällt ihr eine Bergeslast vom Herzen. Nein, die Schränke sind noch nicht umgeräumt. Elkes Uhr hängt nach wie vor an dem kleinen Haken in der Hinterwand des Schrankes unter der dunkelblauen Baskenmütze, die sie nicht leiden mag und deshalb niemals trägt. Es ist noch einmal alles gut gegangen.
Elftes Kapitel
DAS STRANDFEST
Als die Kinder am nächsten Tage des unsicheren Wetters wegen in der großen Diele des Gasthofes „Zur Windmühle“ Zusammentreffen, um die Hauptprobe für das Robinsonspiel abzuhalten — es ist nebenbei bemerkt bereits die dritte Hauptprobe, zu der Piet. zusammengetrommelt hat — da stellt sich heraus, daß ein Teil der Mitspielenden überhaupt nicht erscheint. Vielleicht mangelt es ihnen an Ausdauer, vielleicht meinen sie, daß aus dem Strandfest in Norddorf ja doch nichts wird wegen des ungünstigen Wetters. Das kommt oft vor hier an der Nordsee, daß alles abgeblasen werden muß, weil das Wetter plötzlich schlecht geworden ist.
Elke nimmt die Unzuverlässigkeit dieses Teiles ihrer Spielschar nicht tragisch. „Es sind alles nur Wilde“, beschwichtigt sie den wütenden Piet. „Wir brauchen gar nicht soviele Wilde, früher haben wir auch nicht so viele gehabt, und das war auch schön.’
„Aber Lotti ist doch auch nicht gekommen’, wendet Piet ein, „und Lotti muß doch ihren Solotanz noch üben.”
„Vielleicht kommt sie später“, antwortet Elke, der es genau so wie Ruth, ihrer Stubengenossin, ein Rätsel ist, daß Lotti ausbleibt.
Ja, wo steckt Lotti? Warum kommt sie nicht? Warum läßt sie die anderen warten?
Nun, mit Lotti ist es so: Sie wandert in dieser Vormittagsstunde ganz allein und sehr unschlüssig durch die Dorfstraßen. Sie möchte Elkes Uhr los sein. Sie will nicht mehr auf sie aufpassen müssen, immer in Angst um sie sein müssen. Sie weiß aber nicht, wie sie sich der Uhr entledigen soll. Sie der Tante zu schicken, geht nicht, hat sie sich überlegt. Die Tante bedankt sich womöglich für die Uhr auf einer Postkarte, die jeder lesen kann. Nein, der Tante kann sie die Uhr höchstens von der Reise „mitbringen“. Aber sie bleiben ja noch fünf Tage hier, fünf lange Tage. Lotti kommt schließlich auf den Gedanken, daß es das beste wäre, die Uhr wegzuwerfen — irgendwohin, ganz gleich wohin. Vielleicht findet sie da jemand, vielleicht auch nicht. Wenn jemand sie findet und auf der Polizei abliefert, können die ja denken, der Dieb hat die Uhr weggeworfen. Aber niemand weiß, wer der Dieb ist. Vielleicht die beerensammelnde Frau, vielleicht jemand anders — niemand kann was nachweisen. - - - Aber dann ist es Lotti auch wieder zu schade, die Uhr einfach wegzuwerfen, es ist eine wunderhübsche Uhr. Aber das geht ja doch auch nicht, daß sie so tut, als wenn sie die Uhr auf der Straße gefunden hat und selber auf der Polizei abliefert. Vielleicht kennen die auf der Polizei sie und sagen es weiter, daß sie die Uhr gefunden hat. Dann glaubt ihr niemand, daß die Uhr auf der Straße gelegen hat.
Das sind die Überlegungen, mit. denen Lotti durch die Dorfstraßen schlendert, während die anderen auf sie warten. Sie kommt zu keinem Entschluß und geht schließlich nach Hause, um die Uhr in das Versteck zurückzulegen, das sie sieb gestern abend, nach der Rückkehr aus Hooge neu ausgesucht hat: unter dem Papier in ihrer vollgepackten Nachttischschieblade. Das merkt man gar nicht, daß da was unter dem Papier liegt.
Endlich erscheint das
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