Elke im Seewind
einhundertundachtzig Einwohnern ja eine der größten Halligen.
Dann wird das Innere der Kirche besehen. Von der niedrigen, flachen Balkendecke hängt ein ziemlich großes Schiffsmodell herunter. „Das macht den Leuten hier die Kirche heimisch“, sagt der Küster. Der geschnitzte und bemalte Altar und die Kanzel stammen aus untergegangenen Nachbarkirchen, berichtet er weiter.
Aber wie ist denn das möglich? Vom Turm schlägt es ja schon zwölf. Trine muß laufen, damit sie rechtzeitig zum Mittagessen bei ihren Großeltern eintrifft, die auf der Warft Mitteltritt wohnen. Den vier Hamburger Mädeln zeigt sie die Richtung, wie sie zum Gasthaus kommen. Dort sollen sie hingehen und zu Mittag essen. Das hat ihr Vater ihnen ja heute morgen schon gesagt. Dort kriegen sie auch Bescheid wegen der Rückfahrt.
Trine fährt selber nicht wieder mit zurück nach Amrum, sie soll einige Tage bei den Großeltern bleiben. Im Gasthof werden die Mädel von dem jungen Lehrer der Insel erwartet. Der hat sich einige Möbelstücke vom Schiff abgeholt, die Schiffer Harmsen von Amrum mit herübergebracht hatte, und bei der Gelegenheit hat Trines Vater ihn gebeten, den Mädeln aus Hamburg Bescheid zu sagen, daß aus der Rückfahrt heute nachmittag nichts werden kann. Das Löschen der Ladung ist wegen des hohen Seeganges heute viel schwieriger und langwieriger als sonst, und das Wetter verschlechtert sich auch von Stunde zu Stunde.
Die Wirtsfrau kommt herein und setzt den Kindern ein sogenanntes Bauernfrühstück vor: auf Speckwürfeln gebratene Kartoffeln mit darüber geschlagenen Eiern. Die große, hochvollgefüllte Schüssel duftet herrlich, aber die Kinder sehen sich besorgt an. Wer soll das bezahlen? Sie haben doch gar nicht soviel Geld, Lotti allerdings ausgenommen, Lotti hat immer Geld. Aber Elke hat ja überhaupt kein Geld mit.
Sie nehmen sich alle nur einen kleinen Löffel voll auf den Teller. Der Lehrer, der vorhin die Gaststube verlassen hatte, jetzt aber wieder zurückkehrt, lacht hell heraus, als er sie so dasitzen sieht. »Eßt doch bloß!“ sagt er. „Hat die Wirtin euch nicht gesagt, daß Herr Harmsen das Essen extra für euch bestellt hat? Es kostet euch nichts.“
„Das ist prima!“ sagt Elke und zieht im selben Augenblick auch schon die Schüssel mit den leckeren Bratkartoffeln zu sich heran und füllt sich ihren Teller so voll, daß sie zu Hause bestimmt einen Rüffel dafür gekriegt hätte. Aber der Lehrer lobt sie und rät den anderen, es ihr gleichzutun. Was dann auch geschieht, Lotti allerdings wieder ausgenommen. Lotti hat keinen Appetit.
Die Kinder erfahren durch den Lehrer dann auch, daß sie am Nachmittag wieder nach der Hanswarft gehen sollen. Das ist die Warft, auf der sie gleich zu Anfang gewesen sind und wo sie in einem der Häuser den „Königspesel“ besehen haben. Gleich links davon wohnt die alte Oma Jette Kröger. Bei ihr sollen sie über Nacht bleiben.
Später, auf dem Weg zur Hanswarft hin, sehen die Kinder, daß viele Weidetiere schon nahe bei den Häusern sind. Der Himmel ist jetzt ganz grau, und die Mäntel und Kleider der Mädel werden vom Sturm so gezaust, daß sie knattern. Das Wasser ist längst über den Steinwall, der die Insel umgibt, hinweggestiegen, erfahren sie, und dann erkennen sie auch selbst, daß die grünen Wiesen, über die sie gegangen sind, als sie vom Schiff kamen, schon unter Wasser stehen.
Bei Oma Jette Kröger hören die Kinder, daß die Flut noch gar nicht eingetreten ist. Und trotzdem jetzt schon so hohes Wasser! Für die kommende Nacht sieht es bedenklich aus.
Ja, es wird wirklich eine sehr unruhige Nacht. Die Kinder haben ein Strohlager in der Wohnstube von Oma Kröger zurechtgemacht bekommen, aber der Wind heult pfeifend und johlend ums Haus und rattert und knattert so stark an den Fensterflügeln, daß sie wohl ab und zu ein bißchen einschlafen, aber immer gleich wieder aus dem Schlaf aufschrecken. Lotti findet überhaupt keine Ruhe. Jetzt in der Dunkelheit ist ihre Angst wegen der Uhr noch viel schlimmer als am Tage.
Plötzlich werden laute, erregte Stimmen nebenan in der Küche hörbar. Sind die Leute im Haus aufgestanden, weil die Flut jetzt auch den Häusern gefährlich wird? „Aufstehen, auf stehen!“ ruft da auch schon eine Männerstimme, und eine Faust schlägt gegen die Tür.
Die Kinder, die unausgezogen auf ihren Strohlagern liegen, sind im Nu hoch. Als sie in die Küche kommen, sehen sie die Oma Kröger neben einer winzigen Petroleumlampe am
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