Ella und die falschen Pusteln
bringst das Klassenzimmer in Ordnung und ziehst dich gefälligst an, wie es sich für einen Mann deines Alters gehört!«, schimpfte die Direktorin.
Dann wollte sie gehen, aber in der Tür drehte sie sich noch einmal um: »Deinen Bart könntest du auch mal wieder stutzen, und dieser Kittel ist lächerlich«, sagte sie.
Jetzt wussten wir, was los war: Der Lehrer hatte zu seiner Frau auch noch die Direktorin geheiratet. Jedenfalls redete die Direktorin auf einmal genau wie die Frau des Lehrers. Wir wussten zwar, dass die Direktorin mit Pekkas Vater verheiratet war, aber wenn der Lehrer noch eine zweite Frau heiraten durfte, war die Direktorin bestimmt eine gute Idee. Schließlich war sie gleichzeitig seine Chefin und auch eine Art Stammesoberhaupt. Ein Häuptling und eine Häuptlingin – wir fanden, das passte gut. Und dass der Lehrer jetzt Pekkas zweiter Vater war, fanden wir klasse. Wir anderen waren sogar ein bisschen neidisch, weil wir alle nur einen Vater hatten.
»Soll ich Papa oder Vati sagen?«, wollte Pekka von seinem neuen Vater wissen.
»Wie du willst, Pekka«, säuselte der Lehrer, der jetzt ganz leuchtende Augen hatte.
Wir Mädchen zwinkerten uns zu. Wir wussten Bescheid: Er war verliebt.
»Man hat mich entdeckt«, seufzte der Lehrer mit einem verklärten Lächeln. »Es hat gedauert, aber endlich hat man mich entdeckt.«
Wir fanden das ein bisschen seltsam, weil er ja nicht verschollen gewesen war. Das hätten wir nämlich gemerkt. Schließlich hatten wir ihn die ganze Zeit im Auge behalten. Wir beschlossen vorsichtshalber, das noch eine Weile weiter zu tun.
Bis zur großen Pause schrieben wir dann Briefe, die der Lehrer uns diktierte. In den Briefen verlangten wir den Schutz der einzigen Riesenschnabelhörnchen in ganz Finnland. Der Lehrer steckte die Briefe in einen großen Umschlag, auf den er selbst die Adresse des Empfängers geschrieben hatte. Es war das Finnische Parlament.
Zivilisation
Der Lehrer war wirklich verliebt. Das sah man schon daran, dass er den ganzen restlichen Schultag immer nur lächelte und kein einziges Mal wütend wurde, auch nicht, als wir seinen Zeigestock als Kriegsbeil nahmen und auf dem Schulhof begruben und Mika an die Fahnenstange fesselten, weil wir sonst keinen Marterpfahl hatten.
»Die Welt weiß, dass ich ein Meister meines Fachs bin, ich rege mich über gar nichts mehr auf. Die Welt weiß, dass ich ein Meister meines Fachs bin, ich rege mich über gar nichts mehr auf«, hörten wir ihn murmeln, während er Mika befreite.
Am Nachmittag befestigte er dann ein neues Schild an der Tür unseres Klassenzimmers:
Hier lehrt der Guru seine Meisterklasse.
»Was soll ein Guru sein?«, fragte Pekka.
»Gurus heißen im Morgenland die weisen Männer«, erklärte uns Timo. »Ein anderes Wort dafür ist ›Fakir‹.«
»Dann waren die drei Weisen aus dem Morgenland Fakire?«, fragte Hanna verblüfft.
»Mein Vater ist auch ein Fakir«, sagte Pekka.
»Welcher?«, fragten wir.
»Der alte«, sagte Pekka. »Meine Mutter sagt, Fakire können an einem Seil hochklettern und sich oben in Luft auflösen.«
»Und das kann dein Vater?«, fragte Tiina ungläubig.
»Nein, aber sich in Luft auflösen, wenn er zum Beispiel den Rasen mähen soll.«
Wir waren echt neidisch auf Pekka. Nicht nur, dass er zwei Väter hatte, von denen er wahrscheinlich Geburtstagsgeschenke kriegte, jetzt waren sie auch noch Gurus und Fakire. Manche haben schon unverschämt viel Glück.
»Fakire können auch giftige Schlangen nur mit der Blockflöte beschwören und auf Nagelbrettern sitzen«, erklärte Timo.
»Mein Vater hat Angst vor Schlangen, aber er kann Lieder auf dem Kamm blasen«, erzählte Pekka.
»Welcher?«, fragten wir.
»Der alte«, sagte Pekka.
Wir waren uns nicht sicher, ob der Lehrer Blockflöte spielen konnte. Wir hatten ihn bisher nur Akkordeon spielen gehört. Aber vielleicht hörten Schlangen ja auch darauf. Jedenfalls malten wir uns schon aus, wie der Lehrer sich vor den ausländischen Schulräten auf ein Nagelbett setzte und einer giftigen Schlange das Lied von dem Pechvogel vorspielte, dem immer die Ziegel auf den Kopf fallen. Die ausländischen Schulräte würden große Augen machen und endlich verstehen, warum finnische Kinder so gute Schüler sind: weil sie so tolle Lehrer haben, darum!
»Wusstet ihr, dass die finnischen Schüler im Rechnen und Lesen die Besten der Welt sind?«, fragte der Lehrer.
Das wussten wir nicht, wahrscheinlich weil unsere ganze Klasse mal sitzen
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