Ellas geheime Traeume 1&2
ein Taxi – nicht ohne sie noch einmal an die Party am nächsten Tag zu erinnern.
Ein wenig spöttisch sah er ihr nach, wie sie da in ihrem zerknitterten Kostüm, ohne Strumpfhose und mit zerwühlten Haaren zum Wagen ging.
Sie schien nicht zu ahnen, worauf sie sich eingelassen hatte – und das war auch gut so.
Auf der Party morgen wirst du dein blaues Wunder erleben, dachte er, im wahrsten Sinne des Wortes.
Frau Kasuhlke, Ellas langjährige Nachbarin, war einfühlsam genug, nichts über Ellas Aussehen zu sagen – ihre fassungslosen Blicke genügten jedoch, um Ella das ganze Ausmaß von Alans ‚Zerstörungswut‘ vor Augen zu führen. Frau Kasuhlke räusperte sich, kratzte sich an der Nase, umfasste das Treppengeländer und hatte sich dann wieder im Griff.
„Guten Abend, Frau Wilkens“, sagte sie im liebenswürdigen Tonfall einer pensionierten Lehrerin, „vorhin war ein junger Mann hier, der etwas für sie abgegeben hat.“
„Ein junger Mann?“ fragte Ella verwirrt und fuhr sich mit den Fingern an den Augenrändern entlang, als könne sie dadurch ihr ruiniertes Make-Up noch retten.
„Ja, ein junger Italiener – recht gutaussehend, wenn ich das so sagen darf!“ Sie grinste schief, stieg vor Ella die Treppe hinauf und verschwand in ihrer Wohnung. Kurz darauf trat sie zurück in den Hausflur. In den faltigen Händen hielt sie einen kleinen Strauß violetter Blumen und einen Umschlag. „Ich habe sie für Sie ins Wasser gestellt“, sagte Frau Kasuhlke, indem sie Ella beides in die Hand drückte„Die Karte hat der junge Mann direkt hier auf dem Treppenabsatz geschrieben, als ich ihm gesagt habe, dass sie nicht da sind.“
Federico, dachte Ella – und mit einem Mal stiegen warme Tränen in ihr auf. Rasch wandte sie das Gesicht ab, bedankte sich bei ihrer Nachbarin und stieg die Treppe zu ihrer eigenen Wohnung hinauf, um weiteren Fragen nach ihrem Befinden zu entgehen.
Sie zog die Tür hinter sich ins Schloss und stellte die Papiertaschen im Flur ab. Dann ging sie zum Regal über der Spüle und angelte nach einem großen Wasserglas für die Blumen. Bewundernd betrachtete sie diese, als sie im Glas vor ihr auf der Anrichte standen. Sie waren von schlichter Eleganz, klein und doch leuchtend. Ihre Augen glitten über die kleinen Blüten und verglichen sie mit den mondänen Blütenkelchen der dunkelroten Rosen auf dem Esstisch.
Ich bin keine Rose , dachte sie, ich bin eine dieser kleinen violetten Blumen, deren Namen ich nicht kenne.
In der Wohnung war es still, und ein unerklärliches Gefühl der Leere ergriff von Ella Besitz. Hatte sie nicht einen unglaublich aufregenden Nachmittag erlebt? Hatte sie nicht Sex mit einem Mann gehabt, der ungeheuer attraktiv war und der sie offenkundig sehr begehrte? War ihr Leben nicht im Begriff, sich vollkommen zu verändern?
Eben das ist das Problem , dachte Ella, ich erkenne mich selbst nicht mehr wieder. Ihr Blick fiel auf ihre Finger, die den kleinen Briefumschlag umschlossen hielten. Sie öffnete ihn und erblickte eine Karte, die niemand anders als Federico gestaltet haben konnte. Sie war beidseitig von Blumenranken bedeckt, die trotz aller Verspieltheit nicht kitschig wirkten und farblich zum violetten Blumenstrauß passten. Federicos Handschrift war weniger gerade und klar als Alans; sie wirkte eher impulsiv und war leicht zu einer Seite geneigt.
Ella,
ich wollte dir diese Blumen eigentlich schon vorgestern schenken, als Entschuldigung dafür, dass ich dir beim Meeting nicht geholfen habe. ICH wäre gern derjenige gewesen, der neben dir auf die Knie gegangen wäre. Ich würde dir gern so vieles sagen und würde mich glücklich schätzen, wenn du morgen bei mir vorbeischauen würdest.
Liebe Grüße,
Federico
In Ellas Bauch kribbelte es. Vor ihrem inneren Auge stiegen Federicos Gesichtszüge auf, seine hübschen dunkelbraunen Augen, das schwarze Haar, das offene Lächeln. Sogar das kleine dunkle Muttermal, das seine Nase zierte und ihm etwas Kindliches verlieh, kam ihr nun in den Sinn. Konnte es denn sein, dass innerhalb so kurzer Zeit sogar zwei Männer Gefallen an ihr gefunden hatten? Sie hatte ihren Kollegen noch nie auf diese Weise betrachtet, und auch jetzt hätte sie nicht sagen können, ob er ihr gefiel. Fest stand, dass sie ihn, wie auch seine Schwester, sehr gern hatte. Die beiden hatten in den letzten Tagen ihr Leben unerwartet aufgehellt, und auch jetzt füllte der Gedanke an Federico und Simi ein Teil der inneren Leere, die sie noch vor wenigen
Weitere Kostenlose Bücher