Ellas geheime Traeume 1&2
weniger Minuten die Farbe der Früchte annehmen.
Ellas Hoffnung war vergebens, wie sie kurz darauf vor dem Spiegel feststellen musste.
Na wunderbar. Ein Wesen mit großen Augen und einem noch größeren Horn auf der Stirn starrte ihr aus der glatten Fläche entgegen – ein Wesen, dessen Eichhörnchen-Schopf nach dem wilden Traum noch verstrubbelter aussah als sonst. Der Traum hatte sie verstört. Nicht, dass sie sich an die nächtlichen Begegnungen mit dem Fremden nicht schon gewöhnt hätte – für gewöhnlich sehnte sie diese aufregenden Träume geradezu herbei. Wie gern hätte sie noch weiter geträumt, bis sie unter den Händen des starken muskulösen Mannes zerflossen wäre und sich ganz aufgelöst hätte – aber ihre Beobachtung unter halb geöffneten Lidern hatte alles zunichte gemacht.
Ihr Traummann hatte sein Gesicht gehabt!
Hektisch und geistesabwesend hantierte Ella mit Seife, Kamm und Tönungscreme. Doch ihre Gedanken ließen sich nicht zurückdrängen.
Wie kannst du dir nur einbilden, dass ein solcher Mann sich jemals für dich interessieren könnte? Ein Mann, der nicht nur wohlhabend, sondern darüber hinaus auch noch charmant, attraktiv und selbstbewusst ist? Ein Mann, der jede Frau haben kann, die er will? Ein Mann, der dir kaum mehr als einen höflichen Blick geschenkt hat?
Fast verzweifelt lief Ella in der Wohnung hin und her und versuchte, sich auf ihren Kleiderschrank, den Kaffee und die Stimmen aus dem kleinen Fernseher zu konzentrieren, der in der Küche auf der Anrichte stand.
Vergiss ihn.
Sie konnte es nicht. So sehr sie auch versuchte, die dunkelblauen Augen zu vergessen, die gestern so selbstbewusst und direkt in die ihren geblickt hatten, es gelang ihr doch nicht. Seine Hände kamen ihr in den Sinn, die nach den Keksen gegriffen hatten; dann sein umwerfendes Lächeln, das sie so sehr in Verlegenheit gebracht hatte. Glichen denn diese Hände nicht den Händen des Fremden aus ihrem Traum? Waren diese Augen, war dieses Lächeln nicht genau das gewesen, was sie erwartet hatte, als sie durchs Halbdunkel ihres Traumes endlich in das Gesicht des Fremden gesehen hatte?
Das Gesicht des momentan wichtigsten Kunden von Infinity Design.
Das Gesicht von Alan Lancefield, dem prominentesten Mann der Stadt.
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„Das haben mich deine netten Kolleginnen aus der Buchhaltung heute auch schon gefragt“, erwiderte Ella auf Simis Bemerkung hin. „Ich hab mir heute Morgen den Kopf gestoßen – und irgendwie hatte ich dann andere Sorgen, als mich mit der Wahl meiner Klamotten zu befassen.“ Tatsächlich waren es ihre Gedanken an Alan Lancefield gewesen, die sie so aus dem Konzept gebracht hatten. Ob sie sich unter anderen Umständen mehr Gedanken über Schnitt und Farbwahl ihrer Kleidungsstücke gemacht hätte, war allerdings mehr als fraglich.
Geistesabwesend rieb Ella sich die Stirn. „Sehe ich denn wirklich so schlimm aus?“
Simi versuchte, ihr Grinsen unter Kontrolle zu bringen. „Nun jaaa …“, sagte sie diplomatisch. Tatsächlich war sie jedoch der Meinung, dass schon ein gewisser Mut – oder aber völlige modische Unbedarftheit – dazu gehörte, eine blaue Hose mit einem leuchtend rot gestreiften Pullover zu kombinieren und dazu auch noch einen grünen Schal umzubinden. Die grellen Farben standen in einem merkwürdigen Kontrast zu Ellas hellem Teint, der im Kantinenlicht ziemlich fahl aussah. Die große Beule an ihrer Stirn tat ihr Übriges, um den Eindruck eines Totalausfalls perfekt zu machen.
Simis Augen glitten von dem rot-blauen Riesenhorn hin zu den müden Augen ihrer Kollegin, und ihr Grinsen verwandelte sich in ein mitfühlendes Lächeln. „Schlecht geschlafen?“ fragte sie und nahm einen Schluck Kaffee.
„Ich bin momentan ziemlich neben der Spur“, gab Ella zu, stützte den Kopf in eine Handfläche und starrte auf die Papierserviette, die vor ihr lag. Infinity Gastro wünscht Ihnen einen guten Appetit! stand darauf. Als mit einem Mal Feuchtigkeit auf das saugfähige Material troff, brauchte sie einen Moment um zu begreifen, dass es ihre eigenen Tränen waren, die die Ränder der aufgedruckten Buchstaben weichzeichneten. Sie schniefte und bemühte sich, schnell die Fassung zurückzugewinnen. Mit einem hastigen 360-Grad-Blick vergewisserte sie sich, dass niemand sie beobachtete – doch sie waren allein in der Kantine.
Simi rückte ihren Stuhl näher an Ella heran und strich ihr mit der Hand beschwichtigend über den Oberarm. Unter der sanften Berührung
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