Ellernklipp
und küßte ihn.
Von Stund an aber wär er jeden Augenblick für sie gestorben. Denn er war ein stolzer Mann, und es fraß ihn an der Seele, daß man ihn sitzen ließ, als säß er auf der Armensünderbank.
Und indem er sich höher aufrichtete, nahm er jetzt Hildens Arm und ging festen Schrittes auf den Ausgang zu, zwischen den verdutzt dastehenden Bauern und ihren Frauen mitten hindurch. Einige traten an die Seite und grüßten, und es war beinahe, als ob das, was Hilde getan, die Herzen aller umgestimmt und ihren Groll entwaffnet habe. Hinter ihnen her aber ging Martin und freute sich, daß sich die Schwester ein Herz genommen.
Und auch Grissel freute sich, die noch von ihres Vaters Tagen her ihren Platz oben auf dem Orgelchor hatte. Manches aber freute sie
nicht
, und sie sah dem Paare nach und sprach in Platt vor sich hin, wie sie's zu tun liebte, wenn sie mit sich allein war: »I, kuck eens... Uns' Oll'...! Un reckt sich orntlich in de Hücht... Un nu goar uns' Lütt-Hilde! Kuck, kuck. Seiht se nich ut, as ob se vun 'n Altar käm? Un fehlt man bloot noch de Kranz. Un am End kümmt de
ook
noch... Un worümm
sall
he nich koamen?«
Sechstes Kapitel
Hilde schläft am Waldesrand
Jahre waren seitdem vergangen, und im Dorfe gedachte niemand mehr der Vorgänge jener Palmsonntagwoche, weder des erschossenen Wilderers noch des Einsegnungstages. Auch Hilde hatte sich in Grissels Spruch: »Er oder ich« allmählich zurechtgefunden, und nur jedesmal, wenn der Heidereiter erregt nach Hause kam, die Stirn kraus und das Auge mit Blut unterlaufen, befiel sie wieder die Furcht jener Tage. Doch nie lange. Kaum daß seine Stirn wieder glatt und sein Ärger vorüber war, war auch ihre Furcht vorüber, und nur eine Scheu blieb ihr zurück, über die sie nicht weiter nachdachte, weil sie sie für natürlich hielt. War doch auch Martin scheu, ja, Grissel ausgenommen, eigentlich jeder; unter allen Umständen aber schloß diese Scheu die Heiterkeit des Hauses nicht aus, und wenn in der Küche, wie jetzt öfters zu geschehen pflegte, das Gespräch auf des Heidereiters immer grauer werdenden Bart kam und Joost in seiner neckischen und dummschlauen Weise hinwarf: »Ojemine, Grissel, de Grissel kümmt em in!«, so vergaß ein jeder des mehr oder minder auf ihm lastenden Druckes und vergnügte sich und lachte. Am herzlichsten aber lachte Hilde.
Die war jetzt überhaupt anders als in ihren Kinderjahren, und noch letzte Kirmes, als sich alles im Tanze drehte, hatte Sörgel zu dem neben ihm stehenden Baltzer gesagt: »Und nun seht einmal, Heidereiter, alle sind gesunder und blühender; aber die Hilde blüht.« Und so dachte jeder im Dorf, auch
die
, die's ihr neideten, und nur Grissel, wenn sie mit Joost ihren plattdeutschen Diskurs über Hilde hatte, fand seit kurzem allerhand an ihr auszusetzen. »Ick weet nich, Joost, dat Grafsche geiht ümmer mihr torügg, un uns' Muthe kümmt ümmer mihr rut. Finnste nich ook?« Und so ging es weiter. Aber so gern sie dieses und ähnliches sagte, so hütete sie sich doch, es Baltzer hören zu lassen, der seit einiger Zeit überhaupt darauf hielt, »daß ein Unterschied sei«.
Es waren jetzt zwei Jahre, daß zum ersten Male von diesem »Unterschied« gesprochen worden war, und was die Veranlassung dazu gegeben hatte, das war im Sinn und Herzen des Heidereiters unvergessen geblieben.
Und konnt auch nicht anders sein.
Ein sehr heißer Julitag war es gewesen und alles ausgeflogen, auch Hilde zu Melcher Harms auf die Sieben-Morgen hinauf, um mit ihm zu plaudern. Aber ihr Gespräch, so leicht es sonst zu gehen pflegte, hatte heute gestockt, weil eben die Hitze zu groß war, und Hilde war höher hinaufgestiegen, um da, wo Wald und Heide aneinander grenzten, eine schattige Stelle zu suchen. Und auch zu finden. Hier hatte sie sich niedergelegt, sich's bequem gemacht und war eben eingeschlafen, als der Heidereiter seines Weges kam und plötzlich gewahr wurde, daß sein Hühnerhund stand. Es war nicht Jagdzeit, aber er nahm doch die Flinte von der Schulter und schlich leise heran, um zu sehen, was es sei. Da lag Hilde, den einen Arm unterm Kopf, und sah geschlossenen Auges in den Himmel. Ihr Haar hatte sich gelöst, und ihre Stirn war leise gerötet, und alles drückte Frieden und doch zugleich ein geheimnisvolles Erwarten aus, als schwebe sie, traumgetragen, einem unendlichen Glücke nach. Um sie her aber summten ein paar Bienen, und die Sonne schien, und das Heidekraut duftete. Da mußte Baltzer des
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