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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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niedriger gingen. Aber es war bloß Lippenwerk, und er wußte nicht, was er sprach, und sah unter all seinem Reden immer nur nach dem Sägewerke hin, das in scharfem und schrillem Ton auf und nieder ging und in den eingespannten Baumstamm einschnitt. Es war ihm, als fühl er's mit.
    Und endlich brach er das Gespräch ab, weil er weiter ins freie Feld hinaus wollte.
    Die Luft strich am Gebirge hin, das tat ihm wohl, und während er so sich ruhiger und auf Minuten auch weicher werden fühlte, kam ihm ein unendliches Bedürfnis nach Aussprache, nach Rat und Trost. Aber wohin? »Sörgel?« Nein. »Oder zu dem alten Melcher?« Nein. »Ich will zu den Toten gehen.« Und in weitem Bogen ging er, ohne die Stunden zu zählen, erst um den Agneten- und dann um den Schloßberg herum, bis er zuletzt an den Kirchhof kam und eintrat.
    Hier war alles still, und er hörte nichts als das entfernte Rauschen des Baches und das Aufschlagen der Tannenäpfel. Er ging an dem gräflichen Erbbegräbnis vorüber und sah nach dem Kreuz hinauf, und alles erschien ihm so rätselvoll und ungelöst wie das Zeichen daran. Und nun bog er rechts in einen schmalen Gang ein, wo die Beamten und die Dienerschaften ihren Ruheplatz hatten, und an dem vorletzten Grabe hielt er.
    Er war seit lange nicht hier gewesen, und um das Gitter her hatte sich ein dichter Efeu geschlungen; aber nicht gehegt und gepflegt, sondern wie Unkraut. Und so standen auch die Blumen, ein wilder, halbverblühter Knäuel von Balsaminen und Rittersporn. Und auch von Levkojen und Reseda.
Das
waren dieselben Blumen – und zu seiner eigenen Empörung drängte sich's ihm wieder auf –, die sie, vor wenig Tagen erst, von dem Gartenbeete drüben in seine Geburtstagsgirlande geflochten; und mit einem Male stand sie selber wieder vor ihm und sah ihn an. Er konnt ihr nicht entfliehen. Ach! um der heimgegangenen Frau willen, der er sein äußeres Glück verdankte, war er hergekommen, ernstlich gewillt, eine stille Gemeinschaft mit ihr zu haben, ihre Hand wieder zu fühlen und ihr freundlich Auge wieder zu sehen. Und doch alles umsonst. Er sah immer nur das Bild, das sich zwischen ihn und die Tote stellte. »Weg!« rief er und schlug mit der Hand nach dem Bilde. Doch es blieb. Und nun begann er gegen sich selbst zu wüten, daß er auf dem Punkte steh, ein Schelm zu werden und ein langes und ehrliches Leben um einer Narretei willen in die Schanze zu schlagen. »Ich muß heraus aus dem Elend!« rief er. »Aber wo soll ich Hülfe finden, wenn auch
diese
Stelle sie mir versagt?« Und er packte die Stäbe des Gitters und rüttelte daran.
    »Oder ob ich mit der Grissel spreche...? Nein, ich muß es allein durchmachen und alles vor mir selber beichten, bis ich's los und ledig bin... Aber was beichten? Und wozu? Was hab ich getan? Nichts, nichts!
Mir
ist viel angetan, viel Weh und Leid, und wenn ich's in Eitelkeit heraufbeschworen und in Schwäche großgezogen hab, so bleibt es doch wahr: Du mein Herr und Gott, deine Hand liegt schwer auf mir... Es wird nichts Gutes. Ich fühl es... Es kann nicht. Ich habe wohl das Einsehen und das Auge, daß es besser wär, es wäre anders; aber weiter hab ich nichts. Und ob die Schuld mein ist oder nicht und ob ich's verfahren hab oder nicht, es muß bleiben, wie's ist, und es muß gehen, wie's will.«
    Er ließ die Stäbe los, an denen er sich noch immer hielt, und setzte sich auf das steinerne Fundament, drin das Gitter eingebleit war, und nahm seinen Hut und drehte ihn zwischen den Fingern, als ob er bete. Aber er betete nicht; er suchte nur nach Beschäftigung und Ruhe für seine fliegenden Hände. Und es war auch, als helf es ihm. »Ich hab einmal gelesen«, sprach er nach einer Weile vor sich hin, »oder war es Sörgel, der es mir sagte, wenn wir die Besinnung verlieren und nicht wissen, was wir tun sollen, weil hunderterlei zu tun ist und mit eins auf uns einstürmt, dann sollen wir uns fragen: was ist hier das Nächstliegende? Und wenn wir das gefunden haben, so sollen wir's tun als unsere
nächstliegende
Pflicht. Und dabei werd uns immer leichter und freier ums Herz werden; denn in dem Gefühl erfüllter Pflicht liege was Befreiendes... Ja, so war es. Und was ist denn nun das Nächstliegende? Meine nächstliegende Pflicht ist die des Vaters und Haushalters und Erziehers. Wohl ist es ein Unglück, daß es in meinem alten Herzen anders aussieht, als es drin aussehen sollt. Aber das darf mich nicht hindern, diese Pflicht zu tun. Ich habe für Recht und

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