Ellernklipp
Ordnung einzustehen und für Gebot und gute Sitte.
Das
ist meine Pflicht. Und so muß ich ihr Gebaren und ihr Vorhaben stören.«
Aber im selben Augenblick übersah er's besser und lachte bitter in sich hinein: »Ordnung und gute Sitte. Hab
ich
sie denn gehalten? Aus aller Zucht des Leibes und der Seele bin ich heraus, und die gute Sitte, von der ich sprech, ist Neid. Ich neid es dem Jungen. Das ist alles. Ich neid ihm das schöne, müde Geschöpf, das müd ist, ich weiß nicht um was. Aber um was auch immer, es hat mich behext, die Grissel hat recht, und ich komme nicht los davon.«
Und ohne daß er die Pein aus seiner Seele weggeschafft oder sich schlüssig gemacht hätte, was zu tun, erhob er sich von dem Stein, auf dem er gesessen, und stieg an einer abgelegenen Stelle des Kirchhofs über die hier halb zerbröckelte Mauer fort. Und nun hielt er sich immer im hohen Grase hin, das hier zu beiden Seiten des Weges stand, bis er sich umsah und mit eins gewahr wurde, daß er nur noch hundert Schritte bis Diegels Mühle habe. Da bog er scharf rechts ein und stieg einen mit Geröll angefüllten Hohlweg hinauf, der erst auf das Kamp und gleich daneben auf Ellernklipp zulief, auf
Ellernklipp
, dessen schrägliegende Tanne dunkel an dem geröteten Abendhimmel stand.
Dahin zog es ihn, er wußte nicht, warum; und als er bis an die schwindelhohe Stelle gekommen war, von der aus Sörgel damals in die vor ihm ausgebreitete Landschaft geblickt hatte, traf er auf Martin. Und jeder prallte zurück. Auch der Alte. Dann boten sie sich einen frostigen guten Abend und standen einander gegenüber. Rechts die Klippe, links der Abgrund. Und am Abgrunde hin nur der Brombeerstrauch und ein paar Steine.
»Wo kommst du her?« fragte der Alte, dem rasch alles wieder hinschwand, was er an guten Vorsätzen in seiner Seele gefaßt haben mochte.
»Von den Holzknechten. Und ich hab ihnen den Wochenlohn gezahlt.«
»Ei! Hast du? Richtig; 's ist ja Freitag heut... Und bist sonst keinem begegnet?«
»Nein.«
»Und auch der Hilde nicht?«
»Nein.«
»Und weißt auch nichts von ihr?«
»Ich denke, sie wird zu Haus sein oder bei dem Melcher Harms oben auf den Sieben-Morgen.«
»Oder auf Kunerts-Kamp! Oder bei der Muthe Rochussen Haus! Oder bei den roten Beeren!« Und er packte den unwillkürlich einen Schritt zurücktretenden Martin bei der Brust und schrie: »Wo hast du sie? Wo ist sie?«
»Laß mich los, Vater!«
»Antworte, Bursch!«
»Ich weiß es nicht! Ich
will
es nicht wissen! Ich bin ihr nicht zum Vormund gesetzt! Und nicht zum Hüter!«
»Nein! Ihr Hüter bist du
nicht
! Aber ich will dir sagen, was du bist: ein Räuber, ein Dieb! Und ich will dir sagen, wo du bist: auf verbotener Fährte! Heraus mit der Sprache! Wo hast du sie? Sprich! Aber lüge nicht!«
»Ich lüge nicht!«
»Doch, doch!Lump, der du bist...« Und sie rangen miteinander, bis der Alte, der sonst der Stärkere war, auf den Kiennadeln ausglitt und hart am Abgrunde niederstürzte.
Martin erschrak und rief in bittendem Tone: »Vater!«
Aber der Alte schäumte: »Der Teufel ist dein Vater!« Und außer sich über die seinen Stolz demütigende Lage, darin er sich erblicken mußte, stieß er mit aller Gewalt gegen die Knie des Sohnes, daß dieser fiel, im Fallen sich überschlug und über einen der Steine hin in die Tiefe stürzte.
Baltzer starrte kalt und mitleidslos ihm nach und horchte, wie die Kusseln knackten und brachen. Einmal aber war's ihm, als riefe es aus der Tiefe herauf, und es klang ihm wie »Vater«.
Und nun erhob er sich und sah sich um. Und sah den Vollmond, der, eben aufgegangen, eine blutrote Scheibe, groß und fragend über dem schwarzen Strich der Tannen stand.
Dreizehntes Kapitel
Im Elsbruch
Er starrte lange hinein, lang und trotzig fast; endlich aber wandt er sich und ging geraden Wegs auf seine Wohnung zu. Das Feuer, das ihn verzehrt hatte, brannte nicht mehr, und das Gewissen hatte seine Stimme noch nicht erhoben; er war nur wie von einem unerträglichen Drucke befreit und wurd auch nicht verwirrt, als er Hilden an der Türschwelle stehen sah. Umgekehrt, ein Gefühl der Eifersucht regte sich wieder, und er sah sie scharf an, als er an ihr vorüber in die Tür trat. Ihr Blick indes begegnete ruhig dem seinen und gab ihm eine halbe Gewißheit, daß alles, was geschehen, ohne Not geschehen sei. Aber er empfand eher Trost als Reue darüber. War es doch nichts Vorübergehendes, was ihn gequält hatte, nein, eine Qual durchs Leben hin.
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