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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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gewiß stand ihm vor der Seele, daß dies der Augenblick sei, der ihm Aufschluß geben müsse, ob Grissel recht gehabt oder nicht, und so ging er vorsichtig und immer sich duckend auf die große Straße zurück, um von dieser aus in einem weiten Bogen erst bis an den Garten und dann an die Rückseite seines Hauses zu kommen. Und nun hielt er an dem Gatter und stieg die paar Erdstufen hinunter, wo er letzten Sonntag das Gespräch mit Grissel gehabt hatte. Niemand, so schien es, sah ihn, und einen Augenblick später war er durch die Hoftür in Flur und Stube hineingehuscht und stand an dem herabgelassenen Vorhang, in dessen Schutz er jedes Wort hörte, das die beiden unten sprachen.
    »Und ich sag es ihm«, sagte Martin. »Und wenn er nein sagt, was er eigentlich nicht darf, dann gehen wir in die weite Welt. Alle beid. Und du mußt nur Mut haben.«
    Hilde schwieg.
    »Und weißt du, wo wir dann hingehen?« fuhr Martin fort. »Ich weiß es. Dann gehen wir zu dem preußischen König. Der kann immer Menschen brauchen, weil er immer Krieg hat. Oder doch beinah. Aber wenn der Krieg aus ist, dann ist alles gut und hat jeder gute Tage, weil er streng ist, aber auch gerecht. Und er sieht alles und weiß alles, und wenn ein armer Mann kommt mit einem Brief in der Hand und ihn hochhält, den läßt er gleich rufen und vor sich kommen und fragt ihn nach allem; und wenn er merkt, daß ihm ein Unrecht geschehen, dann läßt er die Reichen und Vornehmen einsperren. Und wenn's auch ein Graf ist. Und jeden Armen macht er glücklich.«
    Aber Hilde schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, nein, Martin; es ist besser hier. Und ich will nicht, daß du Soldat wirst. Und von der Grissel weiß ich's ganz genau, sie wohnen all unterm Dach und frieren oder kommen um vor Hitze. Und sie hungern auch. Und wenn sie nicht gehorchen, so werden sie totgeschossen. Und mancher auch, weil er bloß eingeschlafen ist. O nein, Martin, das ist nichts für dich; das ist ein Jammer, und wir müssen warten und Geduld haben.«
    »Ach, Hilde, sage nur nicht
das
! Ich will auch nicht zu den Preußen, wenn du's nun mal nicht willst; aber rede nicht von Warten und Geduld. Immer Geduld und wieder Geduld. Ich kann es nicht mehr hören. Und immer bloß so verstohlen sich sehen und nie sich haben in Ruh und ungestört; und so vielleicht Jahre noch. Ach, ich wüßte schon, wie du mir zu Ruhe helfen und das Herz wieder froh machen könntest! Und dann, Hilde, ja dann wollt ich auch Geduld haben und warten. Ein Wort nur! Ein einziges! Sag es... Versprich mir...«
    »Ich kann's nicht!«
    »Ach, du kannst schon, so du nur willst und mich liebhast! Es ist ja so gut, als wären wir allein oben. Und alles schläft, und ist keiner, der uns sieht oder hört. Und ich denke noch an letzten Sonnabend, als wir das Lied gesungen hatten und der Vater eingeschlafen war. Weißt du noch? Aber du hast es vergessen!«
    »Wie du nur bist! Ich hab es
nicht
vergessen!«
    Und er küßte sie leidenschaftlich und sagte: »Sieh, Hilde,
so
will ich dich küssen und drücken,
so
! Und du sollst jetzt nichts sagen, kein Wort, nicke nur leise mit dem Kopf... Oh, nun ist alles gut! Und ich komm...«
    »Um Gottes willen, nein! Ich will alles, was du willst! Alles! Nur nicht unter diesem Dach! Es wäre mein Tod. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich mich fürchte.«
    »Wovor? Vor mir?«
    »Nein, vor
ihm
! Und er ist überall. Und daß ich dir's nur gesteh, es ist mir oft, als ob die Wände Ohren hätten und als wär ein Auge beständig um mich und über mir, das alles sieht.«
    »Und das ist auch! Aber vor
dem
Auge fürcht ich mich nicht.«
    »Und ich auch nicht, Martin, auch wenn es ernst und streng sieht. Aber das Auge, das
ich seh
, das ist nicht Gottes Auge, das ist
seines
und ist finster und glüht darin, auch wenn es freundlich sieht. Fühle nur, wie mir das Herz schlägt und wie ich zittere...«
    »Weil du mir's versprochen hast...«
    »Was?«
    »Daß wir uns sehen... Nicht unter diesem Dach, ängstige dich nicht, aber unter Gottes freiem Himmel, oben auf Ellernklipp.«
    Sie schmiegte sich an ihn, und ihre Seele wuchs in der Vorstellung eines solchen Sichtreffens auf einsamer Klippe. Martin aber fuhr fort: »Oder lieber auf Kunerts-Kamp, da, wo deiner Mutter Haus stand... Und um sechs ist die Sonne weg, und da komm ich und finde dich! Und vorher pflückst du Beeren... Es gibt ihrer noch, und die rotesten...«
    Aber er brach ab, weil er vom Flur her Grissels Stimme zu hören glaubte.
     
Zwölftes

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