Ellernklipp
und auf der Lauer liegen sollte. »Ei, Heidereiter,
das
ist dein Leben nun! Immer in Bangen und immer in Lüge; rastlos und ruhelos, und so bis zuletzt.«
Und er schlug sich mit der Faust vor die Stirn und sah nach dem Gewehr hin und wollte darauf zuschreiten. Aber die Kraft seiner Natur war erschöpft, und er brach zusammen. Und als Grissel und Hilde gleich danach in die Stube traten, lag er ohnmächtig am Boden. Hilde glaubte nicht anders, als daß er tot sei; Grissel aber sah, daß er noch Leben habe, und schickte zum alten »Kamm-Melcher«.
»Es ist vom Blut, Vater Melcher. Ihr müßt ihm die Ader schlagen.«
Der aber schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, 's ist ein Fieber. Und wir dürfen's nicht stören. Er muß Ruhe haben und Luft und Schlaf, oder er stirbt.«
Und sie brachten ihn ins Bett, und Melcher wachte die Nacht und hörte die Phantasien des Kranken.
Am anderen Tag aber kam der Ilseburger Doktor, und Grissel versagte sich's nicht, auf Melcher und seinen Eigensinn zu schelten. »Und wenn er stirbt, so hat er ihn auf dem Gewissen.«
»Er hat ihn
gerettet
«, sagte der alte Doktor. »
Ein
Tropfen Blut, und es war vorbei.«
Vierzehntes Kapitel
Drei Jahre später
Es war nun wieder Herbst, der dritte, seitdem Baltzer Bocholt in seine schwere Krankheit gefallen war, und die Berglehnen hüben und drüben standen wieder in Rot und Gelb, und die Sommerfäden zogen wieder, und der Rauch aus den Häusern und Hütten stieg gerade auf in die klare, stille Luft.
Es hatte sich nichts geändert im Tal, am wenigsten oben auf dem Schloß, und die Beamten und Verwalter kamen alle Freitage nach wie vor zum Rapport, und das Feuer brannte nach wie vor in der Halle bei Winter- und Sommerzeit. Auch die schwarze Witwenhaube der Gräfin hatte noch dieselbe tiefe Schnebbe wie vordem, und nur ihr Haar, das unter der Haube hervorsah, war um ein weniges weißer und spärlicher geworden.
Und wie die Gräfin oben auf dem Schloß, so Sörgel unten in seiner Pfarre, der nach wie vor zu Lust und Erbauung seiner Emmeroder predigte, trotzdem er nahe an achtzig war. Und wenn er so sonntags auf seiner Kanzel stand und den Schwindel kommen fühlte, daran er seit Jahren litt, so wußt er rasch ein Ende zu finden und sagte nur: »Der Friede Gottes, der besser ist als alle Vernunft, sei mit euch allen!« und gab nach der Orgel hin ein Zeichen. Und ehe eine Minute vorüber war, sang die Gemeinde ihren letzten Vers, und war keiner unter ihnen, der an dem Predigtabbruch einen ernstlichen Anstoß genommen hätte. Vielmehr schloß ihn mancher in sein Gebet ein und betete zu Gott, daß er ihnen den alten Sörgel, krank oder gesund, noch lange Zeit erhalten möge. Denn er war ein guter, christlicher Mann, christlich in seinem Gemüte, wenn auch nicht immer in seinem Bekenntnis, und liebte seine Gemeinde, darin er über fünfzig Jahre getraut und getauft und mit all seiner Aufklärung keinen nachweisbaren Schaden angerichtet hatte.
Und wie drinnen in Pfarr und Kirche, so war auch draußen auf dem Kirchhof alles beim alten geblieben, und wenn ein Unterschied gegen früher war, so war es
der
, daß die Stechpalmen etwas höher über die Feldsteinmauer hinausgewachsen und zwei Gräber etwas besser gepflegt waren als seit lange: das von Hildes Mutter und das von des Heidereiters erster Frau. Beide standen wieder in Blumen, und während auf dem einen die Gitterknöpfe neu vergoldet waren, waren auf dem anderen die gelben Buchstaben und das Dach über dem Holzkreuz erneuert worden.
In der Tat, nichts hatte sich verändert, und wer in die Talschlucht einbog, der hörte wie früher das Klappern und Stampfen von Diegels Mühle her und sah wie früher die schrägliegende Tanne, die von Ellernklipp herab ihre Nadeln auf den schmalen, an der Felswand hinführenden Fußweg streute. Nichts hatte Wandel oder Abweichung erfahren, auch das Einerlei des Herkommens nicht, und die Tage dreier Jahre, weil sie so gleichmäßig gewesen, waren auch dem Gedächtnis gleichmäßig entschwunden.
Alle, nur
einen
ausgenommen. Und wenn dieser eine, was nicht selten geschah, unter mancher Zutat und Ausschmückung in der Spinnstube durchgesprochen wurde, so hieß es von der einen Seite: wie schön sie gewesen sei und wie blaß. Aber andere lachten bloß und bestritten es und sagten: sie sei nicht blasser gewesen als sonst. Und warum auch? Es sei doch, trotz seiner fünfzig, ein Glück für sie. Denn was habe sie denn mitgebracht in die Ehe? Natürlich die langen
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