Elli gibt den Loeffel ab
Bootsleute. Wir müssen nur warten, bis einer von ihnen wieder herauskommt.«
Den Besuch des Wahrzeichens von Capri hatte sie sich offenbar wesentlich romantischer vorgestellt. Im Sekundentakt spie die Grotte ein Ruderboot nach dem anderen heraus, nur um im nächsten Moment neue Boote, völlig überladen mit Touristen, in sich hineinzusaugen. Ein gutes Dutzend Ausflugsboote mit bestimmt zwei- bis dreihundert Touristen wartete darauf, von einem der kleinen Ruderboote angesteuert zu werden.
»Früher musste man hierher schwimmen. Ich kann den ganzen Wirbel um die Grotta Azzurra sowieso nicht nachvollziehen«, sagte Paolo kopfschüttelnd.
»Aber das blaue Licht soll einzigartig sein.« Anja war vom Capri-Virus anscheinend schon erfasst.
»Nichts als ein Mythos. Früher war die Grotte für die Capreser nur eine von vielen, bis achtzehnhundertsechsundzwanzig zwei Maler hier auf der Insel aufgetaucht sind. Irgendjemand muss ihnen den Floh ins Ohr gesetzt haben, dass die Grotte vom Teufel heimgesucht wird. Die beiden haben sich dorthin rudern lassen und glaubten, ein Weltwunder entdeckt zu haben. Dann haben sie die Grotte gemalt, natürlich schöner als in Wirklichkeit. Das Gemälde war in ganz Europa zu sehen, und seitdem muss bis heute jeder in diese Grotte. Willst du etwa immer noch hin?«
»Klar! Und du singst >O sole mio< für mich.«
»Sag, dass das ein Witz ist. Du weißt genau, dass ich nicht singen kann.«
»Und ob«, insistierte sie und lächelte dabei unwiderstehlich frech.
»Federico«, rief er einem der Bootsmänner zu, den er anscheinend kannte. Der ältere Mann mit dem von Wind und Sonne gegerbten Gesicht winkte ihnen zu, und keine fünf Minuten später unternahmen sie unter den neidischen Blicken der am Steg und auf den Booten Wartenden eine exklusive Sonderfahrt zu zweit in das blaue Vergnügen. Viel war von dem in der Tat umwerfenden Blau erwartungsgemäß nicht zu sehen. Zu viele schwarze Silhouetten der vielen anderen Boote brachen das Licht. Das Stimmengewirr war infernal.
Paolo sang sich die Seele aus dem Leib und kämpfte tapfer gegen den asynchronen Kanon aus mehreren Versionen von »Santa Lucia« an. Bildete er sich das nur ein, oder hatte Anja ihn für einen Augenblick verhebt angesehen? Schwer zu sagen, doch spätestens als sie aus Federicos Boot auf ihre Yacht kletterten und er ihr galant die Hand reichte, war er sich sicher. Anja hatte ihn verliebt angesehen, und zwar genauso wie früher.
Noch zwei Stunden, bis sie ein persönlicher Chauffeur abholen würde. Elli hatte Herzklopfen. Ein Empfang! Endlich mal wieder ein richtig opulenter Empfang. Nach allem, was Fabrizio ihnen über das Limoncello-Fest von Roberto de Andre erzählt hatte, würden sich am Abend viele interessante Menschen in der Villa am Monte Solaro einfinden. Und sie war mittendrin. Knapp vier Stunden waren sie unterwegs gewesen. Zwei Kosmetikläden, einen Friseurbesuch auf Doros Kosten, was sie ihr hoch anrechnete, und ein Schuhgeschäft hatten sie hinter sich. Eigentlich hatte Elli sich noch schnell für ein Stündchen hinlegen wollen, und Doro ging es wohl ähnlich, doch daraus wurde nichts. Schon auf der Hinfahrt hatte sie ein junges Paar bemerkt, das es sich auf der Terrasse der Casa Bella bequem gemacht hatte.
»Anja!«, gellte ihre Schwester, als sie näher kamen.
Das war unverkennbar ihre Nichte, aber wer war der gutaussehende junge Mann an ihrer Seite, der mit ihr herumschäkerte?
Doro stürmte förmlich aus dem Taxi, das diesmal Elli bezahlte, und eilte schnellen Schrittes hinauf zum Haus. Elli hatte Mühe hinterherzukommen, doch Neugier beflügelte sie.
»Mama... Tante Elli«, begrüßte Anja sie.
»Was machst du denn hier?« Doro war immer noch fassungslos.
»Erinnerst du dich noch an Paolo?«
Das überraschte Elli allerdings auch. Anja kannte jemanden von hier?
»Paolo?«, sinnierte ihre Schwester laut.
»Wir waren mal zusammen, als ich in Berlin war. Das hier ist meine Tante Elli«, stellte Anja sie vor.
Sofort stand der junge Mann auf und reichte ihr höflich die Hand. »Angenehm, Paolo de Andre.«
Doro mal außer Fassung zu sehen, belustigte Elli.
»D er Sohn von Roberto de Andre?« Ihre Schwester wollte es anscheinend ganz genau wissen.
»Ja, er ist mein Vater.« Paolo ahnte wohl, dass sich Anja und ihre Mutter noch einiges zu sagen hatten.
»Ich muss dann mal los... Wir sehen uns später. Ich hole dich dann ab.«
Die Art, wie Paolo Anja anlächelte und ansah, war ein untrügliches
Weitere Kostenlose Bücher