Elli gibt den Loeffel ab
Myrtefeldes oder die Gondelfahrt hinauf zum Monte Solaro etwas ändern. Wie gern hätte er all diese Eindrücke mit Elli geteilt.
Immerhin kam Oskar voll und ganz auf seine Kosten. Wann blieben sie schon mal so lange an einem Ort? Für den Hund war es ein großes Abenteuer, und letztlich war es das doch auch für ihn, versuchte er sich einzureden. Er konnte tun und lassen, was er wollte, und musste auf niemanden Rücksicht nehmen. Der pure Luxus! Sich selbst zu überzeugen, dass er jeden Grund hatte, dankbar und glücklich zu sein, war nicht ganz einfach, aber wie durch ein Wunder erinnerte ihn das Innenleben von San Michele Arcangelo an sein bisher sehr schönes Leben und seine Pläne. In ihm wuchs das Gefühl, nicht nur Durchhalteparolen geschwungen zu haben, sondern es richtig zu machen.
Auf dem Boden der Kirche mit dem achteckigen Grundriss waren Szenen des biblischen Paradieses abgebildet, darunter auch Leonardo Chineses berühmte Mosaike, die Adam und Eva im Garten Eden zeigten. Ausdrucksstarke, fein gearbeitete Gesichter, Gesten, Motive, Engel, ein Einhorn, Gärten von malerischer Finesse. Das monumentale Kunstwerk war umgeben von Altären und kleinen Kapellen, die in die Seitenschiffe eingearbeitet waren. Das Mosaik erinnerte Heinz an das Ziel seiner Reise: Ehden, das Paradies, die libanesische Bergwelt.
Heinz glaubte nicht an schicksalhafte Begebenheiten, doch nun führte das biblische Motiv ihm wieder vor Augen, was ihn interessierte, was ihn in den letzten Jahren nicht nur angetrieben, sondern auch glücklich gemacht hatte. Er sollte versuchen, Elli zu vergessen, und sich wieder auf den Weg machen — zumindest sobald er sich sicher sein konnte, dass hinsichtlich der Erbschaft für die beiden Schwestern alles glatt lief. Ohne diese Gewissheit abzureisen, wäre schier unmöglich, altes Lebensglück und Lebenspläne hin oder her.
Ein labberiges Sandwich während des Fluges, dazu ein paar Crisps, ein Pizzastück mit kalorienfreier Pepsi und ein Weißbrotsandwich auf der Fähre — das reichte gerade mal zum Überleben. Anja spürte, wie ihr Magen anfing, fordernd zu grummeln. Kein Wunder, es war schon später Nachmittag. Gegen den Hunger gedachte sie etwas zu unternehmen. Sofort!
Auf die Führung durch die Casa Bella, die ihr Fabrizio angeboten hatte, konnte sie vorerst verzichten. Stattdessen hatte sie die fast dreißig Quadratmeter große Küche, die nicht nur nach Landhausstil aussah, sondern echter Landhausstil war und das Herz des Hauses darstellte, sofort in Beschlag genommen. Von mehreren Eisenhaken hingen Töpfe, Pfannen und Kochgeschirr aller Art, aber auch getrocknete Peperoni und Knoblauchzehen. Eine Obstschale war mit Äpfeln und Zitronen gefüllt. Der alte, dickbauchige weiße Kühlschrank, der aussah wie aus den sechziger Jahren, war übervoll mit frischen Lebensmitteln. Fabrizio hatte für seine Gäste eingekauft. Anja genoss es, über den knarrenden Dielenboden zu schreiten, und begutachtete mit Hingabe die Kochutensilien, die Fabrizio ihr zeigte.
»Jetzt wird gekocht«, sagte sie begeistert.
»Du bist gelernte Köchin?«, fragte der Italiener erstaunt.
»Ich habe sogar eine Ausbildung zum Küchenchef«, berichtigte sie ihn, nicht ohne ein bisschen Stolz in die Stimme zu legen.
Anja nahm sich vor, Fabrizio und sich selbst so richtig zu verwöhnen. Auf dem Speiseplan standen neben einem knackigen Salat, der außer Essig und frisch gepresstem kaltem Olivenöl noch ein wenig Zitronensaft und Himbeermarmelade vertrug, Nudeln in einer Öl- und Knoblauchsauce, die Anja mit hauchdünn geraspelten Zitronenschalen zu verfeinern wusste.
So eine Küche war einfach traumhaft. Genügend Platz zum Austoben und dank der großen Fenster beim Zubereiten der Mahlzeiten eine fantastische Aussicht auf den Steilhang — schöner konnte man es doch gar nicht haben. Fabrizio zeigte sich mehr als begeistert darüber, dass wieder Leben in diesen Raum kam. Er assistierte ihr beim Putzen des Salats und presste die Knoblauchzehen. Nach nur knapp einer halben Stunde war alles fertig und mundete draußen im Freien in der würzig frischen Luft gleich noch mal so gut.
»Spaghetti wie bei mamma «, schwärmte Fabrizio.
Aus dem Mund eines Italieners war dies das größte Kompliment, das Anja sich denken konnte, und dennoch blieb Fabrizio der letzte Bissen förmlich im Halse stecken. Sie folgte seinem erstaunten Blick und bemerkte im Gegenlicht der Sonne einen jungen Mann mit dunklem Haar, der gerade die letzte
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