Elli gibt den Loeffel ab
Biegung auf dem Weg zur Pension nahm.
»Fabrizio«, rief er nach oben und winkte ihnen zu.
Der Italiener kannte den Wanderer also.
»Paolo«, begrüßte er den Studenten, als dieser die Terrasse erreichte. »Come stai?«
Paolo antwortete nicht. Stattdessen starrte er Anja an, was Fabrizio ziemlich irritierte.
»Anja?« Er fixierte sie derart fassungslos, dass Anja in der Annahme, sich überall mit Sauce beschmiert zu haben, an sich herabsah. Erst als sie im Gegenlicht der Sonne die Augen zusammenkniff, schälte sich aus den dunklen Umrissen nach und nach ein bekanntes Gesicht heraus.
»Paolo de Andre?«, fragte sie vorsichtig.
»Mensch, Anja! Was machst du denn hier?«
Sie versteifte regelrecht, als Paolo sie mit einem strahlenden Lächeln, aber noch immer völlig verdattert musterte. Ein Wunder, dass er sie überhaupt erkannt hatte. Das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten, hatte sie bestimmt zwanzig Kilo weniger auf die Waage gebracht.
»Ihr kennt euch?« Fabrizio war sichtlich durcheinander.
»Anja.« Mehr brachte Paolo nicht mehr heraus, bevor er sie in den Arm nahm, fest drückte und ihr Herz zum Pochen brachte — einerseits vor Aufregung, andererseits weil schlagartig alte Gefühle aufkamen. Tief aus ihrem Bauch stieg eine ferne Erinnerung an Leidenschaft, Freundschaft und Vertrauen auf, aber auch wachsende Unruhe und Gedanken an Unausgesprochenes. Die Umarmung dauerte eine halbe Ewigkeit. Paolo schien sie gar nicht mehr loslassen zu wollen.
»Möchtest du was essen?« Etwas Besseres fiel Anja nicht ein.
»Hab schon gegessen, aber was hältst du von einem Spaziergang?«
Paolo stand tatsächlich leibhaftig vor ihr. Anja schüttelte fassungslos den Kopf, was Paolo missinterpretierte.
»Keine Lust?«, fragte er.
»Doch, und wie!«
Die Zitronen an den Bäumen erstrahlten im Licht der Nachmittagssonne in einzigartig kräftigem Gelb und leuchteten wie Farbtupfer inmitten der saftig grünen Blätter. Das Meer schien blauer zu sein als sonst, genau wie der Himmel. Seine Heimat war schön, zumindest fühlte es sich heute so an. Anja! Seine erste große Liebe fuhr mit den Fländen über die Zitrusfrüchte und genoss den frischen Geruch mit geschlossenen Augen. Sie hatte nichts von ihrer Sinnlichkeit eingebüßt und auch ihr süßes Lächeln nicht. Es musste gut zehn Jahre her sein, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, in Berlin, als sie sich während ihres Praktikums in einem der Partnerhotels seines Vaters kennengelernt hatten.
»Du solltest nicht so sehr auf deinen Vater schimpfen. Immerhin haben wir es ihm zu verdanken, dass wir uns begegnet sind«, durfte er sich von Anja anhören, als er ihr vom Kaufvorhaben seines Vaters erzählte, der den Hals anscheinend niemals voll genug bekam. Ihr Gegenargument war nicht von der Hand zu weisen. Paolo erinnerte sich daran, dass Anja die Stelle in der Küche damals über einen heißen Draht ihrer Großmutter zu einem Freund seines Vaters bekommen hatte. Was war das damals für ein traumhafter Sommer, in dem er sich bis über beide Ohren in sie verliebt hatte, und zwar unsterblich, wie das bei der ersten großen Liebe nun mal so ist.
»Warum hast du dich damals nicht mehr gemeldet?« Diese Frage hatte Paolo jahrelang gequält. Hatte er etwas falsch gemacht? Sie hätte ihn besuchen können. In Südafrika, New York, London. In den besten Küchen der Welt hätte sie an seiner Seite arbeiten können.
»Paolo, wir kommen nun mal aus verschiedenen Welten«, sagte Anja, mit einer Spur von Traurigkeit in der Stimme. »Als du in New York warst, hatte ich meinen ersten Job und konnte mir nicht so oft freinehmen. Du warst ständig unterwegs, Geld spielte für dich nie eine Rolle. Da konnte ich nicht mithalten und... Ich hatte einfach Angst, dass wir keine Chance haben.«
»Warum hast du mir das nie gesagt?«, fragte er sie enttäuscht.
»Vielleicht war ich zu feige. Wir waren gerade mal ein
Jahr zusammen, du hattest große Pläne. Außerdem lief es bei mir nicht sonderlich gut in der Zeit, als du weg warst.«
»Was ist passiert?«
»Ich hab, kurz nachdem du in New York warst, meinen ersten Job verloren. Ich hätte noch nicht mal das Geld gehabt, dich zu besuchen. Und seither... Es wurde nicht viel besser. Mal war ich eine Saison hier, mal da. Arbeit rund um die Uhr... Tja, und seit drei Jahren bin ich arbeitslos. Ich schätze, bei dir ist es etwas besser gelaufen.«
Paolo nickte beschämt. Er wusste genau, dass er ohne die Unterstützung seines Vaters
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