Ellin
schlafen tief und fest.«
»Ich bitte Euch nicht darum, meine Arme und Beine von den Stricken zu befreien, nur um ein paar Schritte Abstand zwischen mir und dem Feuerschein.« Flehend sah sie zu ihm auf.
Der Kerl musterte sie, schien abzuwägen, wie hoch die Gefahr für eine Flucht war. Doch selbst wenn es ihr gelänge zu fliehen, wären seine Kumpane mit einem einzigen Ruf auf den Beinen, um sie wieder einzufangen.
»Na gut«, brummte er. »Aber keine Zicken, sonst bekommst du die Peitsche zu spüren, ist das klar?«
Ellin nickte. »Natürlich.«
Er löste den Strick vom Baum und zog sie auf die Beine. Anschließend warf er sie über seine Schulter wie ein erlegtes Tier und entfernte sich vom Lagerfeuer.
»Könnten wir noch ein paar Schritte gehen?«, bat sie, als er anhielt. Noch immer befanden sie sich im äußeren Lichtkreis.
»Übertreib’ es nicht«, knurrte er, machte aber noch zwei weitere Schritte. Unerwartet vorsichtig stellte er sie auf die Beine, beugte sich zu ihr hinab und begann, ihre Tunika nach oben zu ziehen. Er atmete schwer und sein Geruch, eine Mischung aus Schweiß, schmutziger Kleidung und ungewaschenen Füßen, hüllte sie ein. Angewidert verzog Ellin das Gesicht. Hoffentlich hatte sie Kylian nicht missverstanden.
Plötzlich versteifte der Kerl sich. Ein Gurgeln drang aus seinem Mund, bevor er für immer verstummte. Mit einem dumpfen Laut schlug er auf den Boden auf. Jemand machte sich flink an ihren Fußfesseln zu schaffen. Anschließend wurden die Seile um ihre Handgelenke durchtrennt. Alles geschah in völliger Lautlosigkeit, nur Ellins Atemzüge hallten durch die Stille. Erleichtert dehnte sie ihre tauben Glieder und spürte, wie das Blut in Hände und Füße zurückkehrte. Eine Hand ergriff ihre und zog sie mit sich fort. Blind rannte sie neben Kylian her, darauf vertrauend, dass er wusste, was er tat. Hoffentlich geriet sie nicht vom Regen in die Traufe. Sie stolperte über einen Erdhügel, woraufhin er sie auf die Arme nahm und trug. Sein Atem ging tief und gleichmäßig, wie jemand, der es gewohnt war zu laufen. Ellin fragte sich, wie er es schaffte, in dieser undurchdringlichen Finsternis zu sehen. In den Stunden der tiefsten Nacht, wenn nicht einmal der Nordstern leuchtete, versank die Welt in blinder Schwärze. Doch er rannte so zielsicher, als könne er sehen. Hinter ihnen hallten Stimmen durch die Nacht, doch sie waren leise und weit entfernt.
»Sie haben Eure Flucht bemerkt«, wisperte er.
Ängstlich blickte Ellin über seine Schulter. »Können sie uns einholen?«
»Keine Angst, sobald wir Jalo erreichen, wird er uns sicher durch die Nacht tragen. Ihre Pferde sind nicht in der Lage, in der Finsternis zu sehen.«
»Und Jalo kann das?«
»Ja.«
»Aber sie könnten Fackeln nehmen«, wandte Ellin ein.
»Das könnten sie, trotzdem sind ihre Pferde nicht halb so schnell wie Jalo, er ist ein Grej Perlino.«
Ellin gab einen erstaunten Laut von sich. »Sind die nicht eine Legende?«
Statt einer Antwort lachte er freudlos.
Was gibt es da zu lachen? , hätte Ellin am liebsten gefragt, doch bevor sie die Frage stellen konnte, vernahm sie das leise Schnauben. Kylian blieb stehen und setzte sie ab. Anschließend half er ihr auf den Rücken des Pferdes und schwang sich dann selbst hinauf. Wieder war Ellin erstaunt, wie er das in dieser vollkommenen Finsternis zustande brachte. Er schnalzte mit der Zunge und der Hengst trabte los. Es war ein beängstigendes Gefühl, blind und hilflos durch die Schwärze zu reiten, darauf angewiesen, dass andere für sie sahen. Jeden Augenblick erwartete sie einen Sturz oder zumindest einen Zusammenstoß, doch Jalo fand zielsicher seinen Weg. Ellin dachte an die Geschichten, denen zufolge Grej Perlinos nicht nur die Augen eines Falken, sondern auch die Fähigkeiten und Instinkte von Flughunden hatten, die in der Lage waren, auch in der finstersten Nacht zu sehen.
Der Hengst jagte über das Land, bis der Morgen graute, und noch weit darüber hinaus. Der Wind pfiff um ihre Ohren, ihr Haar flatterte gegen Kylians Brust.
Die Wärme seines Leibes im Rücken machte ihr bewusst, dass tatsächlich Kylian ihr Retter war. Der Kylian, der sie doch aus tiefstem Herzen verabscheute, der sie gewürgt und bedroht hatte. Der kein Mensch war. Der Gedanke machte ihr Angst. Andererseits: Alles war besser als Lord Wolfhards Soldaten. Über die Gefahr, die von ihm ausging, konnte sie sich später noch Gedanken machen.
Als sie kurz darauf rasteten, rieb er das
Weitere Kostenlose Bücher