Ellin
Schultern und enthielt sich einer Erwiderung. Das Wortgefecht führte zu keiner Einigung. Es war besser, es zu beenden, anstatt es weiter zu schüren.
Sobald sie ihre Schale geleert hatte, entschuldigte sie sich mit der Ausrede, sie müsse noch einmal nach den Geißen sehen und verließ das Haus.
Blitze zuckten umher. Jeden Augenblick würde der Himmel seine Schleusen öffnen. Sie hastete über den Hof, betrat ihr kleines Reich und war einmal mehr froh darüber, dass sie eine eigene Wohnstatt besaß. Wie jeden Abend wusch sie sich gründlich, bürstete ihre Haare, streifte ihr Nachtgewand über und setzte sich auf ihren Lieblingsplatz. Der Regen trommelte auf das Dach. Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus, bis sie spürte, wie sich ihr Körper entspannte. Vielleicht hatten Tilda und Guntar Recht. Sie brauchte einen Gefährten, jemanden, der ihr dabei half, den Hof zu führen. Es war leichtsinnig, noch länger zu warten. Kylian würde nicht mehr kommen. Sie weilte nun schon seit achtundzwanzig Nächten im Gerstfeldtal. Er hatte ausreichend Zeit gehabt, sie zu finden. Entweder war er nach Kismahelia zurückgekehrt, ums Leben gekommen oder er hatte sie vergessen. Bei dem Gedanken zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie musste diese unsinnige Liebe aus ihrem Kopf und ihrem Herzen verbannen und endlich vernünftig werden. Guntars Bruder war sicher nicht die schlechteste Wahl. Sie seufzte resigniert. Morgen würde sie Marin in Augenschein nehmen, und wenn er so war, wie Guntar ihn beschrieben hatte, würde sie seinem Werben nachgeben und ihn zum Gefährten nehmen.
Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Hoffentlich war es nicht Tilda, die ihr erneut ins Gewissen reden wollte. Sie sprang auf, eilte zur Tür und öffnete sie. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Eine plötzliche Schwäche ließ sie schwanken.
»Kylian.« Im nächsten Moment lag sie in seinen Armen und presste ihre Lippen auf seine. Minutenlang küssten sie einander, bis Ellin bemerkte, dass sie noch immer in der geöffneten Tür standen und Kylian tropfnass war.
»Komm rein.« Sie zog ihn in die Kammer und verriegelte die Tür. »Du bist ja völlig durchnässt. Zieh dich aus, wir müssen deine Sachen trocknen, bevor du unterkühlst.«
Während sie ihm beim Entkleiden half, sahen sie einander unentwegt an.
»Wo bist du so lange gewesen?«, fragte sie, während sie die Verschnürung an seinem Wams löste.
»Ich bin umhergewandert und habe nachgedacht«, erwiderte er.
Ellin nickte. »Ich verstehe.«
Kylian ergriff ihren Arm und zwang sie damit, ihn anzusehen. »Wirklich?«
»Ja.«
Er streifte das Wams ab und zog sie in seine Arme. Ein Schauer, der nichts mit seiner feuchten Kleidung zu tun hatte, rieselte über Ellins Rücken.
»Ich muss dir so viel sagen, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll«, wisperte er.
Ellin lehnte ihren Kopf an seine Schulter, genoss die Wärme seiner Haut. Unschickliche Gedanken stahlen sich in ihren Kopf. »Das hat Zeit.«
»Ich liebe dich«, flüsterte er. Sein Atem streifte ihr Ohr.
»Ich liebe dich auch«, erwiderte sie.
Er schluckte und wirkte auf einmal nervös. Sie blickte auf. Sein linkes Auge zuckte. Zärtlich strich sie darüber. »Was hast du?«
»Kann ich … kann ich bei dir bleiben?«
»Meinst du heute Nacht?«
»Nein, ich meine für immer.« Sein Gesicht blieb ernst.
Überrascht hob Ellin die Augenbrauen. »Du willst sesshaft werden? Bist du dir sicher?«
Er zögerte nicht, hatte es sich offensichtlich gut überlegt. »Ja.«
Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. Mit sanftem Druck schob sie ihn zur Bettstatt. »Du kannst bleiben, solange du willst.«
»Wir müssen über so vieles sprechen«, sagte er, als er auf das Bett plumpste.
»Aber nicht jetzt.« Sanft drückte sie ihn auf das Kissen und senkte ihre Lippen auf seine. Wenn er überrascht war von ihrem Übermut, so zeigte er es nicht. Nur ein leises Keuchen verriet, was ihre Küsse bei ihm bewirkten.
Hektisch nestelte er an der Verschnürung ihres Nachtgewandes herum und bedeute ihr schließlich, sich auf den Bauch zu legen. Andächtig zog er das Gewand bis zu ihrer Taille hinab. Dann betrachtete er die feinen Narben auf ihrem Rücken, folgte ihrem Verlauf mit seinen Fingern. Ellin erschauerte. Seine Lippen senkten sich auf ihre Haut, berührten zärtlich jede einzelne Narbe, als könnte er sie durch seine Küsse verschwinden lassen.
»Ich bin froh, dass diese Bestie ihr gerechtes Ende gefunden hat«,
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