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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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dass sich eine vorwitzige Strähne aus dem Haarknoten gelöst hatte. Vorsichtig steckte sie die dunkelbraune Locke im Nacken fest und schlüpfte in den Gang hinaus. Ein feuchtkalter Luftzug ließ sie frösteln und sie beeilte sich, den düsteren Korridor so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Selbst bei schönem Wetter gelang es den Sonnen nur selten, die Kammern und Gänge der Felsenfestung zu wärmen und während der Zeit des Langen Regens nie.
    Nervös nestelte sie an ihrem Gürtel herum. Der Knoten in ihrem Bauch schien heute besonders groß und eine unerklärliche, innere Unruhe hatte sie erfasst. Die Wachen vor Lord Wolfhards Tür blickten ihr grinsend entgegen. Wie immer hofften sie auf ein Lächeln oder ein freundliches Wort. Doch Ellin mochte es nicht, angestarrt zu werden und so huschte sie gesenkten Hauptes an den Männern vorbei, öffnete die schwere Holztür zu den Gemächern ihres Herrn und schlüpfte hinein. Sie fand sich in einer geräumigen, von Fackeln erhellten Kammer wieder, von der aus zwei weitere Türen jeweils in das Schlafgemach und in die Wohnstatt führten. Den Vorraum schmückte eine große Tischplatte, die auf den ausgestopften Beinen eines Bisotts ruhte. Die stämmigen Beine waren mit breiten Hufen und einem kurzen, schwarzen Fell versehen und verströmten noch immer den Geruch nach modrigem Laub. Anhand der unzähligen Trophäen an der Wand und den ausgestopften Tieren, war unschwer zu erkennen, dass Lord Wolfhard, wenn er nicht gerade Krieg führte, ein leidenschaftlicher Jäger war.
    Beim Anblick der leblosen Kreaturen schauderte Ellin. Anfänglich hatten sie die entseelten Augen der Tiere bis in ihre kindlichen Träume verfolgt, hatten sie angeklagt mit ihrem jenseitigen Blick und ihr ewige Rache für ihren sinnlosen Tod geschworen. Doch mittlerweile erinnerte sie nur der immer wiederkehrende Schauder an ihre Abscheu.
    Ihr Blick fiel in das Schlafgemach. Ein wärmendes Feuer prasselte im Kamin neben der Bettstatt. Lord Wolfhard saß auf einer gepolsterten Bank und blickte ihr entgegen. Einst war er ein Mann ganz nach vecktanischem Ideal gewesen: groß, rotbärtig, mit kräftigen Gliedern. Doch mittlerweile zogen sich graue Strähnen durch seinen Bart, die geröteten Augen wurden von tiefen Falten umrahmt und ein praller Wanst, das untrügliche Zeichen für Trunksucht und Völlerei, wölbte sich über seinen Gürtel. Der eigentümliche Ausdruck in seinem Gesicht, eine Mischung aus Selbstgefälligkeit und etwas, was sie nicht zu bestimmen vermochte, verstärkte ihre Beklommenheit. Überrascht stellte sie fest, dass er nur einen einfachen, Fell besetzten Überwurf trug. Die Luft um ihn herum flimmerte und schien sich auszudehnen, wie ein aufgeblähter Kadaver. Für einen Augenblick glaubte sie sogar, einen schwarzgrünen Schatten wahrzunehmen, der ihn wie eine zweite Haut umgab und aus seinem Inneren zu kommen schien. Wie eine vibrierende Mauer baute er sich vor ihr auf. Erschrocken hielt Ellin inne und blinzelte. Der Schatten war verschwunden.
    »Da bist du ja endlich«, brummte Lord Wolfhard.
    Sie deutete eine Verbeugung an und machte sich daran, Wasser aus einer großen Kanne in die Waschschüssel zu gießen. Seine Blicke folgten ihr und trotz der Wärme, die das Feuer im Kamin verströmte, fröstelte sie.
    »Wäre es nicht völlig ausreichend, wenn ich mich nackt in den Regen stelle? Dann müsstest du nicht diese schwere Kanne heben«, sagte er plötzlich und grinste breit.
    Dann mach es doch selbst, du aufgeblasener Kerl, dachte Ellin. Am liebsten hätte sie sich die Hand vor den Mund geschlagen wegen dieses ungehörigen Gedankens.
    »Mein Herr könnte sich erkälten«, sagte sie eifrig.
    »Hältst du mich etwa für ein verweichlichtes Weib?«, fragte er lauernd.
    Ihr Herz begann zu pochen. Warum ließ er sie nicht einfach ihre Arbeit verrichten und beobachtete sie schweigend, wie er es sonst immer tat? Bei dieser Plänkelei konnte sie nur verlieren.
    »Verzeiht, mein Herr. Ihr seid alles andere als verweichlicht, Eure Siege und Trophäen zeugen von Eurem Mut und Eurer Stärke, doch Eure Männer und das Gesinde bedürfen Eurer Führung. Ein kranker Lord gäbe Anlass zur Besorgnis. Nicht wenige wurden in letzter Zeit vom Röchelhusten dahingerafft. Der bringt den stärksten Mann zu Fall.«
    Lord Wolfhard lachte laut und klopfte sich auf die Schenkel. Ellin fuhr unter dem tiefen, dröhnenden Klang zusammen.
    »Du findest immer die richtigen Worte, Ellin. Anscheinend habe ich

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