Ellorans Traum
machen. Wenn die Stürme losgehen, möchte ich nicht gerade auf dem Wasser sein.«
»Immer noch seekrank, alter Pirat?« foppte ihn Karas. Ein gequälter Blick war die einzige Antwort. Die beiden Männer umarmten sich herzlich, und Karas öffnete dem Gesandten die Tür.
»Eins noch«, sagte Gioanî und legte Karas eine Hand auf den Arm. »Das hast du nicht von mir gehört, aber – dieser Streit zwischen der Krone und den T'jana wird von irgend jemandem angeheizt. Ich kann dir nicht sagen, wer dahintersteckt, aber es muß einer von euch sein.« Karas sah ihn schweigend an. Gioanî biß sich auf die Lippe und fügte hinzu: »Dieser Gesandte der Allianz – vertraust du ihm eigentlich?« In Karas Gesicht regte sich kein Muskel, aber er drückte kurz den Arm des anderen. Die Tür schloß sich, und wir waren allein.
Karas fiel aufstöhnend in einen Sessel und vergrub das Gesicht in den bebenden Händen. Ich eilte besorgt an seine Seite. Er ließ matt die Hände sinken und murmelte: »Es ist gleich besser, laß mich nur einen Augenblick lang ruhig hier sitzen.« Sein Gesicht war aschfahl. Ich schenkte Wein in ein Glas und hielt es ihm an die blutleeren Lippen. Er trank dankbar einige Schlucke und richtete sich dann auf.
»Das war heute kein günstiger Zeitpunkt für ein Treffen mit Gioanî«, sagte er, verwirrt auf seine schmucküberladenen Hände niederblickend. Er wollte die protzigen Ringe von seinen Fingern ziehen, aber seine Hände zitterten so stark, daß er sie nicht herunterbekam. Ich griff nach seiner Hand und half ihm dabei, und er ließ es wortlos zu, schlaff in den Sessel zurückgesunken. Dann kniete ich neben ihm, die Hände voller Schmuck und sah besorgt in sein graues, eingefallenes Gesicht. Er öffnete die Augen und lächelte mich schwach an.
»Mach nicht so ein Gesicht, mein Sohn. Es geht mir schon wieder besser. Hast du dir Notizen gemacht?« Ich nickte und mußte unwillkürlich grinsen. Das dürfte eines der spannendsten Protokolle werden, das die Schreibstube seit langem zum Kopieren bekam. Karas sah mein Lachen und erwiderte es mit echter Fröhlichkeit.
»Ein bemerkenswerter Mann, der Bruder der Großherzogin, nicht wahr? Ich kenne ihn schon seit Jahren und schätze ihn sehr. Wenn er nur nicht so anstrengend wäre ...« Er verzog das Gesicht und machte Anstalten, sich zu erheben. Ich stopfte hastig die kostbaren Ringe in meine Jackentasche und half ihm auf.
»Nimm deine Sachen mit.« Er humpelte zur Tür. »Bist du hungrig?« Ich nickte, nach den Aufregungen dieses Tages knurrte mein Magen schon wieder heftig. »Wir essen also erst einen kleinen Happen, dann werde ich mich etwas aufs Ohr legen, damit ich für die Sitzung mit dem Kronrat frisch bin.« Karas schnitt eine Grimasse und nahm meinen angebotenen Arm. »Du wirst den Nachmittag nutzen, um meinen Schneider aufzusuchen und das Protokoll anzufertigen. Du kannst dich dafür gerne in mein Arbeitszimmer zurückziehen.«
Wir waren unterdessen in einem Teil des Palas angelangt, den ich noch nicht kannte. Ein höfisch gekleidetes Paar trat auf den Kammerherrn zu, begrüßte ihn herzlich, und die Frau mit dem knochigen Aussehen einer Berg-Raulikanerin erging sich in einem langen Klagelied über das schlecht ausgebildete Dienstpersonal der Kronenburg. Dabei glitten ihre schönen, stark geschminkten Augen abfällig über mich hinweg. Karas hörte sich ihre Tirade mit wahrer Engelsgeduld an, während sein Gewicht immer schwerer auf meinem Arm lastete. Endlich kam sie zu einem Ende, und sie und ihr verlegen dreinschauender Begleiter verabschiedeten sich wortreich. Der Kammerherr schnaubte nur verächtlich, als die beiden um die Ecke bogen und bedeutete mir, unseren Weg fortzusetzen.
Der Speiseraum, den wir betraten, war groß, aber so eingerichtet, daß der Eindruck von Intimität entstand. Mit Teppichen ausgelegt, gedämpft beleuchtet und erfüllt von dem leisen Gemurmel kultivierter Stimmen, unterschied er sich gewaltig von der lauten, betriebsamen Kantine des Dienstpersonals. Karas lotste mich zu einem kleinen Tisch in einer Fensternische. Er sank aufatmend in den weich gepolsterten Stuhl und lächelte erleichtert. Eine Bedienstete trat zu uns und fragte: »Was darf ich Euch bringen, Kammerherr?«
Er klopfte nachdenklich mit dem Fingernagel gegen seine Zähne und fragte mich: »Hast du einen besonderen Wunsch, mein Junge?« Ich verneinte, und er wandte sich an die junge Frau: »Ich hätte gerne etwas Leichtes, Kind, mein Magen ist verstimmt.
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