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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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sauberes Taschentuch, um damit die großen, mit Diamantsplittern besetzten goldenen Ordenssterne blankzupolieren, die an der Schärpe befestigt waren. Dann blickte er versonnen auf das Tuch, zuckte mit den Achseln und steckte es wieder ein. Er befestigte die Nadel mit dem riesigen Rubin an seinem Jabot, steckte alle herausgesuchten Ringe an seine Finger, bis er sie vor lauter Metall und Edelsteinen kaum noch bewegen konnte, und griff dann nach dem Futteral, dem er ein kleines, goldgerahmtes Glas mit einem daran befestigten dünnen Goldkettchen entnahm. Das fädelte er durch ein Knopfloch am Aufschlag seines Rockes. Zu guter Letzt schleuderte er die ausgetretenen Schuhe von den Füßen und stieg ächzend in ein Paar schmaler, mit funkelnden Schnallen versehener Lackschuhe mit elegant geschwungenen, hohen Absätzen.
    Er stemmte sich schwerfällig auf die Füße, verzog schmerzlich das Gesicht und hinkte zur Tür. Dort drehte er sich zu mir um, griff nach dem Kettchen mit dem kleinen runden Glas, hauchte es an, rieb es über seinen Ärmel, klemmte es sich in das linke Auge und musterte mich mit geradezu beleidigender Herablassung. Wie er da stand in seiner ganzen blitzenden, funkelnden, überladenen Pracht, umgab ihn eine Aura von unnahbarem, eisigem Hochmut. Mich überkam plötzlich eine überaus heftige, aber rätselhafte Abneigung gegen diesen pompösen kleinen Mann.
    Der Kammerherr zückte ein frisches, parfümiertes Spitzentüchlein, wedelte damit affektiert vor seiner Nase herum und bemerkte mit hoher, blasierter Stimme: »Ich sage Euch, mein Allerwertester: diese Schuhe bringen mich schneller um als ein S'aavaranischer Attentäter das fertigbrächte.« Er ließ das Glas aus seinem Auge fallen und blinzelte mich verschmitzt an. Ich schüttelte mich, als hätte er mir Eiswasser ins Gesicht geschüttet, und lachte. Ehe ich mich versah, hatte er mich in eine feste Umarmung gezogen. »Junge«, stammelte er. »Junge, du – du kannst ja lachen!«
    Das verschlug mir den Atem. Er hatte recht, ich hatte gerade seit Wochen zum ersten Mal wieder meine eigene Stimme gehört. Mir kamen die Tränen. Karas räusperte sich gerührt, tätschelte meine Schulter und murmelte verlegen: »Nu, nu. Bitte, beruhige dich, mein Kind. Komm, Elloran, putz dir die Nase. Der Botschafter wartet doch auf uns.« Ich riß mich zusammen und griff dankbar nach dem angebotenen Tüchlein. Karas blickte mich besorgt an. »Möchtest du lieber auf dein Zimmer gehen? Ich kann Meister Rowald bitten, mir einen anderen Schreiber mitzugeben.« Ich putzte mir die Nase und schüttelte heftig den Kopf. Er sah erleichtert aus.
    »Ah, das hätte ich fast vergessen«, murmelte er, als wir an der Schreibstube vorbeikamen. Er trat hinein und dort an Meister Rowalds Pult. Ich stand an der Tür und beobachtete unauffällig die anderen Schreiber. Ihr Mienenspiel beim Anblick des aufgedonnerten Kammerherrn war ebenso verblüfft wie das meine vorhin gewesen sein mußte. Aber ich bemerkte auch die hämischen Blicke, die mich trafen, und ihr verstohlenes Flüstern. Eine Stimme erhob sich etwas und zischte ›Bettwanze!‹ Die anderen kicherten beifällig. Rowald hob den Kopf und bat mild um Ruhe.
    »Wenn ich dich so ansehe, Karas ... Rhûn und Rhan, habe ich recht?« fragte er gedämpft. Karas bejahte. Rowald lachte meckernd und nahm eine kleine flache Dose von seinem Pult, die er dem Kammerherrn in die Hand drückte. Der ließ sie in seiner Rocktasche verschwinden und bedankte sich. »Keine Ursache, keine Ursache. Immer gern zu Diensten«, krächzte der Schreibermeister. »Grüß mir den Edlen Gioanî.« Sein Lachen verfolgte uns bis vor die Tür.
    Karas schien jeder Schritt, den er in den vornehmen Schuhen tat, Schmerzen zu bereiten. Wir schritten dementsprechend gemessen über den Hof und boten so den Passanten, die gleich uns fröstelnd von einem Gebäude ins andere wechselten, einen offenbar bemerkenswerten Anblick. Der Kammerherr wurde pausenlos ehrerbietig gegrüßt und grüßte unermüdlich zurück, obwohl seine Aufmerksamkeit deutlich an einem anderen Ort weilte. Endlich waren wir am Fuß der Freitreppe angelangt, und Karas blickte mit fast komischer Verzweiflung an ihr hoch. Ergeben packte er seinen Stock fester und machte sich an den Aufstieg. Ich beeilte mich, seinen Arm zu ergreifen und bemerkte besorgt, wie schwer er sich dieses Mal auf mich stützte. Auf halber Strecke bat er kurzatmig um eine kleine Pause und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen mich.

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