Ellorans Traum
fortgehen?«
Sie wandte sich von mir ab. Das schwere rote Haar verbarg mir ihr schmales, helles Gesicht. »Ich kann dir nicht raten. Du vergißt immer wieder, daß es mich nicht gibt. Wie kann etwas, das nicht vorhanden ist, dir Ratschläge geben?« Ihre mageren Schultern zuckten, sie schien zu weinen. Ich packte sie an der Schulter und zwang sie, mich anzublicken. Darauf war ich überhaupt nicht gefaßt gewesen, in ein paar lachende, übermütige blaue Augen zu sehen. Wütend stieß ich sie von mir und schrie sie an: »Warum lachst du mich aus? Was habe ich dir denn getan, daß du dich über mich lustig machst?«
»O Elloran, du nimmst immer alles so schrecklich ernst. Manchmal glaube ich, sie haben deinen Sinn für Humor bei mir vergessen, als sie uns trennten. Wenn du einmal über dich selber lachen könntest, wäre wahrscheinlich alles nur noch halb so schlimm!« Sie schmiegte sich wieder an mich und lockte: »Komm, Elloran. Lach doch mal, nur für mich.« Sie kitzelte mich. Ich schlug erbost ihre Hand weg. Sie kicherte und bohrte mir ihren spitzen Zeigefinger in die Seite. Ich griff hart nach ihren Handgelenken und hielt sie fest. Der Griff hätte ihr eigentlich weh tun müssen, aber sie lachte immer weiter. Dann wurde sie plötzlich ganz still und schien zu lauschen.
»Du bekommst Besuch«, wisperte sie und wand sich aus meinem Griff. »Paß auf dich auf!« Sie war fort, ehe ich antworten konnte.
»Hallo?« sagte eine fremde Stimme dicht neben mir. Ich schüttelte mich und öffnete die Augen. Riesige violette, langbewimperte Augen sahen mich an. Ihre Besitzerin kniete neben dem Mäuerchen im Gras und hielt die hängenden Zweige der Birke zur Seite. Schwarze, lange Haare umrahmten ein ebenmäßiges, ovales Gesicht mit hohen Wangenknochen und vollem Mund über einem runden Kinn mit Grübchen darin. Das glatte Haar hatte in der Sonne einen Schimmer wie Rabenflügel; blaue, violette und smaragdgrüne Reflexe spielten darauf.
Ich blickte gebannt in das schöne Gesicht mit dem sanften goldenen Schimmer auf der hellen Haut und antwortete äußerst geistreich: »H-hallo.«
Ein breites Lächeln teilte die pfirsichfarbenen Lippen und ließ blendendweiße Zähne sehen. Sie kroch zu mir unter die Birke und setzte sich im Schneidersitz neben mich; ein junges Mädchen, vielleicht in meinem Alter, in leichte, farbenfrohe Gewänder gekleidet: weite Hosen und ein flatternder Kaftan mit einer golddurchwirkten Schärpe, in der ein kleiner Zierdolch steckte. Die Kleidung erinnerte mich an den Edlen Gioanî von den Inseln: Wahrscheinlich gehörte das Mädchen zu dem Gefolge seines Sohnes, den Karas als Geisel gefordert hatte.
»Ich stören?« fragte sie und blinzelte durch ihre langen Wimpern. Ich beeilte mich zu versichern, daß das ganz und gar nicht der Fall sei. Wir lächelten uns an. »Schönes hier«, sie sah sich um. »Grün«, setzte sie erklärend hinzu. Ihre Stimme war dunkel und ihre Aussprache hatte einen weichen, kehligen Akzent.
»Du b-bist von den Inseln?« fragte ich. Sie nickte und strich sich mit einer anmutigen Geste die fedrigen Haare aus den Amethystaugen.
»Rhûn.« Das ›R‹ war stark gerollt, und der Vokal klang ganz hinten im Hals. Ich versuchte, es nachzusprechen. Es mißlang mir kläglich. Sie lachte kullernd und legte einen Finger mit einem langen, perlmuttschimmernden Nagel auf meine Lippen: »Rhûn«, wiederholte sie, »Cesco« – sie deutete auf sich.
»Cesco«, sagte ich folgsam und etwas verlegen. »Ich h-heiße Elloran.«
»Ah. Ellorrran«, rollte sie genüßlich.
»Cesco? Cesco! Ai, maldêttu, nascon ti simpra! Cesco!!« rief eine erboste Stimme im Hof. Meine Begleiterin zog den Kopf zwischen die Schultern und kicherte.
»Meine stitutori, ah, wie sagen – Erziehung?« Sie sah mich hilfesuchend an. »Erzieher?« schlug ich vor. Sie nickte heftig und riß die Augen auf. Sie blähte die Backen, streckte einen eingebildeten Bauch vor und drohte mit dem Finger. Ich mußte lachen. Sie legte mir die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf, daß die Haare nur so flogen.
»Cesco!« erklang es drohend ganz aus der Nähe. »Sentio ti!« Sie knipste mir mit dem Auge zu, legte noch einmal den Finger auf den Mund und kletterte wie eine Katze in den Baum. Kurz darauf erhob sich ein drohender Schatten vor der Birke, eine riesige Hand schob die Zweige beiseite, und ein rundes, finsteres Gesicht schaute herein. Sein Blick musterte mich mißtrauisch und sah dann gründlich in die
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