Ellorans Traum
wenig unfreundlich an. Jenkas Gesicht verhärtete sich unmerklich, aber sie schlug die Augen nicht nieder. Endlich lächelte Leonie schwach und reichte der Olysserin die Hand. Sie bot uns Plätze an und griff mit der linken Hand hinter sich, um zwei Tassen für uns aus dem Schrank zu nehmen. Dabei verrutschte der weite Faltenwurf ihres weißen Gewandes und gab ihren sehnigen Oberarm mit dem breiten silbernen Armreif frei. Ich bemerkte, wie Jenka ihn gefesselt anstarrte und ihre Stirn sich verwundert krauste. Sie warf mir einen schnellen, fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern. Ich wußte nicht, was sie von mir wollte.
Wir tranken Tee und unterhielten uns mühsam. Leonie war in nicht allzu mitteilsamer Laune, sie erschien geistesabwesend und ein wenig müde. Endlich erhob sie sich, um uns zu verabschieden. Jenka war schon zur Tür hinaus, da hielt Leonie mich noch einmal zurück.
»Dein Großvater wird dich schon bald bitten, nicht weiter Umgang mit mir zu pflegen«, sagte sie leise. »Ich wollte dich nur vorwarnen.«
Ich starrte sie aus weitaufgerissenen Augen an. »W-was soll das h-heißen – mein Großvater ?«
Sie schlug entsetzt eine Hand vor ihr Gesicht und lachte laut auf. »Dafür bringen sie mich um!« jammerte sie. Ich sah ihre gelben Augen vor boshaftem Vergnügen funkeln. Das war kein Versprecher gewesen. Mein Magen hob sich, als ich begriff.
»D-du willst doch n-nicht etwa behaupten ...«, mir blieb die Luft weg. Hinter mir steckte Jenka neugierig den Kopf zur Tür herein und fragte ungeduldig, wo ich denn bliebe. Leonie sah mich nur weiter ungerührt und interessiert an. Ich stieß einen wortlosen Laut höchsten Abscheus aus und stürmte aus dem Zimmer. Jenka trabte äußerst verwirrt hinter mir her.
»Was ist denn? Was ist passiert?« keuchte sie atemlos, als ich anhielt und meine Fäuste in die stechenden Seiten preßte. Ich schlug in ohnmächtiger Wut gegen eine Wand und drückte dann die Hände auf meine brennenden Augen.
Jenka legte ihren Arm um meine Schultern und fragte wieder: »Was ist los, Ell? Was hat sie dir getan?«
Ich biß mir auf die Lippe, bis ich salziges Blut schmeckte und preßte hervor: »Alle. Sie tun es alle, seit ich d-denken kann. Keiner von ihnen sagt mir jemals die W-Wahrheit, alle belügen mich und schubsen mich h-herum, wie es ihnen gerade p-paßt, sogar meine Großmutter. Ich h-hasse sie! ich hasse sie alle!!« Ich schlug wieder und wieder mit der Faust gegen die rauhe Mauer.
Jenka griff nach meiner aufgeschürften Hand und hielt sie sanft und unnachgiebig fest. »Hör auf damit, Ell. Du tust dir nur selbst weh, und das nützt gar nichts. Komm, erzähl. Wer belügt dich und worüber?« Sie zog mich in eine Fensternische und legte ihren Arm um meine Schultern. Meine Kehle brannte. Für einen Augenblick dachte ich, daß meine Stummheit zurückgekehrt war, so unfähig fühlte ich mich, auch nur ein Wort herauszubringen. Jenka sah mich mitfühlend an und strich vorsichtig über meine Schulter.
»Weißt du«, sagte sie leise, »ich kann sie nicht leiden. Was hat sie dir getan, daß du so wütend bist?«
Ich schüttelte hilflos den Kopf. »S-sie ist die einzige, die mir überhaupt etwas v-verrät. Sie sagt n-nicht alles, was sie weiß, aber sie tut wenigstens n-nicht so, als meine sie es nur g-gut mit mir!«
Jenka sah mich finster an. »Ich glaube, daß sie böse ist. Sie hat einen grausamen Blick. Und warum, bei Denen-Die-Sind, trägt sie den gleichen Armreif wie deine Großmutter?« Ich starrte sie an. Natürlich, sie hatte recht. Leonies und Veeloras Armspangen glichen sich wie Zwillinge. Ich schloß die Augen und versuchte, meine rasenden Gedanken zu beruhigen.
»Jenka, sei mir nicht böse. Ich m-muß mit meinen – mit meiner Großmutter sprechen. Können wir uns s-später wieder treffen?« Sie nickte und stand auf. Ich nahm sie sofort in den Arm und drückte sie kurz an mich. »Danke«, flüsterte ich in ihr Ohr. Sie erwiderte die Umarmung und hauchte mir einen Kuß auf die Wange.
Ich wußte, wo ich Veelora und Karas finden würde. Ich betrat das kleine Vorzimmer von Karas' Arbeitsraum und schloß leise die Tür hinter mir. Dann legte ich die Hand auf die Klinke der inneren Tür und schloß für Sekunden die Augen. Die folgende Auseinandersetzung würde meine gesamte Konzentration und Kraft benötigen. Die Tür bewegte sich sacht in den Angeln, sie war nur eben angelehnt. Ich hörte deutlich die Stimmen von drinnen.
»Warum willst du es ihm nicht
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