Ellorans Traum
fast in die Kissen biß. Tom saß manches Mal bei mir und erzählte. Sie hatten versucht, die Stadt zu finden, um dort nach Nikal zu suchen, waren aber kläglich gescheitert.
»Ich glaube nicht, daß es diese verfluchte Stadt überhaupt gibt«, schimpfte er. »Das ist doch unmöglich, eine ganze Stadt, die sich nicht finden lassen will!« Er schien es persönlich zu nehmen. »Wir wollten gerade wieder los, um es noch mal zu versuchen, als das mit dir passierte. Was meinst du, willst du mitkommen, wenn du wieder auf den Beinen bist?« Er sah mich erwartungsvoll an, und ich bekam ein schrecklich schlechtes Gewissen.
»Nik ist nicht mehr in d-der Stadt«, wich ich seiner eigentlichen Frage aus. Er starrte mich groß an.
»Was meinst du damit?«
»Er ist im F-Frühjahr von dort verschwunden. Julian hat es mir g-gesagt.«
»Und wohin?« Ich zuckte mit den Schultern. »Verdammt. Dann sind wir wieder da, wo wir angefangen haben!« Tom sah unglücklich aus. Er stand auf und entschuldigte sich, er müsse mit Galen reden. Ich sah ihm nach und biß mir auf die Lippen.
Am fünften Tag nach meinem Aufwachen aus der Bewußtlosigkeit klopfte es, als ich gerade lustlos auf einer Mundvoll fadem Grünzeug herumkaute. Ich hatte mir schon überlegt, offizielle Beschwerde wegen des Speiseplans einzulegen, aber meine Schwester hatte mich mit gründlicher Grausamkeit davon kuriert. Sie hielt mir schweigend einen großen Handspiegel vor und ich durfte mich darin betrachten. Ich sah mit ihren Augen, weiß der Himmel, wie sie das machte, all das bleiche schwammige Fleisch an meinem Körper, den weichen, schlaffen Bauch, und es ekelte mich heftig vor mir selber. Das schemenhafte Bild eines unbekannten toten Gesichtes schob sich vor mein Auge und jagte mir einen tödlichen Schrecken ein; ich wußte nicht, warum. Also aß ich ergeben das wenige, das mir erlaubt wurde, obwohl ich das Gefühl hatte, dabei langsam zu verhungern.
»Herein.« Ich schluckte das Grünzeug herunter und spülte mit dem bitterem Kräutertee nach. Ein Stock klopfte über den Boden, und ich sah erschreckt auf. In der Tür zum Schlafzimmer stand mein Großvater und zögerte einzutreten. Ich stellte den leeren Teller beiseite und deutete unbeholfen auf den Sessel. Er nickte dankend und setzte sich, den Stock zwischen die Beine geklemmt und die Hände auf dem Knauf gefaltet. Er sah krank aus. Ich räusperte mich verlegen. Unsere letzten Begegnungen waren alle äußerst unerfreulich verlaufen, und ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich nahm ihm immer noch übel, daß er mich von Cesco getrennt hatte, daß er mich in meinem Zimmer einsperrte – aber wie ich ihn so dasitzen sah, tat er mir dennoch leid.
»Wir sollten miteinander reden, Elloran«, sagte er mühsam. Ich nickte stumm.
»Es tut mir leid«, sagten wir gleichzeitig. Er holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Versteh mich richtig, Elloran. Das, was du dir mit deinen Kumpanen geleistet hast, ist schwer zu verzeihen. Du hättest es besser wissen müssen. Aber ich habe mich dazu verleiten lassen, zu hart zu reagieren. Ich hätte dir eine Chance geben müssen, das habe ich nicht getan. Dafür bitte ich dich um Vergebung.« Er hielt inne und wischte sich über die Stirn. Ich blickte auf meine Hände herab.
»Ich – ich«, ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Daher sagte ich das, was mir zuallererst durch den Kopf schoß. »Ich l-liebe Cesco, Großvater. Ich werde v-verrückt vor Sehnsucht nach ihm. B-bitte, darf ich ihn sehen?« Er kniff die Lippen zusammen.
»Er ist nicht gut für dich, Junge. Sieh dich doch an!«
»Bitte! Ich will ohne ihn nicht l-leben. Er – ich ...« Ich weinte. Er nahm seinen bitteren Blick nicht von meinem Gesicht.
»Gut!« sagte er barsch. »Gut. Ich will dich nicht quälen. Aber du bleibst hier nicht mehr – du wirst nach Salvok zurückkehren, wenn du wieder gesund bist. Deine Großmutter hält es für das beste, und ich bin inzwischen auch ihrer Meinung.« Meine Tränen versiegten vor Schreck. Zurück nach Hause? Wieder Ställe ausmisten? Oder was immer mein Vater sich jetzt ausdenken würde, um mich für mein Ausreißen zu bestrafen? Lieber würde ich sterben! Karas stand auf und blieb noch einen Augenblick vor meinem Bett stehen.
»Willst du mir noch etwas sagen?« fragte er streng. Ich schüttelte den Kopf. Er nickte enttäuscht und ging.
Ich ahnte nicht, unter welchen Umständen ich meinen Großvater das nächste Mal wiedersehen würde, sonst hätte ich
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